Ein interessanter Gläsertest
Gefragt war das geeignetste Glas für den jeweiligen Weintyp – ob handgemacht oder maschinengefertigt war freigestellt. Neben dem Preis-Leistungs-Verhältnis sollte auch die Alltagstauglichkeit berücksichtigt werden. Bis auf zwei (WMF und Rosenthal), bei denen Weingläser zurzeit nicht erste Priorität geniessen, sagten 10 Hersteller (Eisch, Leonardo, Lobmeyr, Orrefors, Riedel, Spiegelau, Steger, Stölzle, Zalto, Zwiesel) spontan zu und delegierten jeweils den Firmenchef in die Jury. Die andere Hälfte der Jury bildeten erfahrene Sommeliers – sie sehen und erleben in ihrem Beruf täglich, welchen Einfluss Weingläser haben und wie Weintrinker damit umgehen Weil diese Profis im Laufe der Jahre Glasformen und -typen verinnerlicht und gelernt haben und wissen, aus welchem Betrieb ein Glas kommt, wurde der Vergleich als Blind-Tasting organisiert: Jeder der 20 Juroren trug eine blickdichte Augenbinde und einen Baumwoll-Handschuh, um das Erkennen eines Glases am Stiel zu erschweren. Vor sich hatten alle Juroren die gleichen 10 Gläser in denen sich derselbe Wein in gleicher Menge befand: Stellvertretend für Weissweine ein deutscher Riesling, „2005 Geheimrat J, Riesling Spätlese trocken” von den Weingütern Geheimrat J. Wegeler. Für die Kategorie leichtere, duftreiche Rotweine ein „2007 Spätburgunder Blauschiefer” vom Weingut Meyer-Näkel und für die Gruppe der körperreichen Rotweine ein „1997 Château de Pez, Cru Bourgois, Saint Estèphe”, importiert von Schlumberger. Alle Weine aus 3 oder 6-Liter Grossflaschen wurden zu einer Cuvée vereinigt um in allen 200 Gläsern jedes Durchgangs denselben Wein zu garantieren. Die Jury sollte so beurteilen, in welchem Glas sich der Wein am besten und typischsten präsentiert – in der Nase, auf der Zunge und im Gaumen. Und welches Glas am Angenehmsten in der Hand liegt, ausbalanciert ist und den besten Kontakt mit den Lippen vermittelt. Damit die Juroren die Gläser „im Dunkeln” finden konnten, ohne sie umzustossen, wurden sie in fester Reihenfolge auf einer Kartonpalette seviert, auf der jedes Glas seinen festen Platz hatte. Und weil die Bewertung eines Glases eine sensible, schwierige und immer auch eine persönliche Angelegenheit ist, wurde jedes Glas am gleichen Tag mit denselben Weinen von einer zweiten Jury bewertet, einer repräsentativen Gruppe von Weininteressierten. Die erzielten Punkte (2, 3 bzw. maximal 5 für den Geschmack und 2 für die Ausgewogenheit, Handling und Haptik des Glases) wurden von einer Amtsperson protokolliert, die sich zuvor von der korrekten Reihenfolge der Gläser überzeugt hatte und während der gesamten Probe die „Blindheit” der Juroren überwachte.
Erstes Fazit
des grossen Gläser-Tastings: Weinaromen und das Geschmacksempfinden reagieren sehr sensibel auf das Trinkglas. Wer einen reifen Barolo oder Bordeaux aus aus einem klotzig-klobigen Whiskyglas trinkt oder aus einem Plastikbecher, verschenkt die entscheidenden Genusspunkte. Umgekehrt schmeckt ein Dornfelder zum Flaschenpreis von 1.99 Euro im mundgeblasenen Edelglas auch nicht besser – ganz im Gegenteil: alle Schwächen, Fehler und sein eher rustikales Geschmacksprofil treten noch viel deutlicher hervor. Das Einheitsglas, geeignet für sämtliche Weine und -typen, gibt es nicht. Es gibt Gläser, die mit mehreren Weintypen recht gut klar kommen und eine Art kleinster gemeinsamer Nenner darstellen: Gläser, die ein mittelgrosses Schwenkvolumen und eine hohe Tulpenform mit relativ kleiner Öffnung (Kamin) vereinen.
Ergebnis Profijury
Weisswein: Die Tulpenform mit relativ engem Kamin bündelt beim Weisswein die Weinaromen am besten. Die Gläser von Zalto, Zwiesel, Lobmeyr und Orrefors landeten bei der Jury auf den ersten Plätzen. Duftreicher Rotwein: Ein grosses Schwenkvolumen setzt bei eher zarten Rotweinen die Aromen frei und ist optimal für die Duftentwicklung. Auch bei diesem Weintyp punkteten die Gläser von Zalto, Zwiesel und Orrefors vorne; relativ dicht gefolgt von Stölzle und Lobmeyr. Körperreiche Rotweine: Ein Glas mit Volumen und hohem Kamin schafft die Balance zwischen Barriquetönen, Frucht und Körper. Die Profijury setzte Zalto, Zwiesel, Stölzle und Riedel auf die ersten vier Plätze.
Ergebnis Laienjury
Weisswein: Das handgemachte, schwere Glas von Orrefors gefiel am besten, auf den nächsten Plätzen die Gläser von Steger, Riedel und Zalto. Duftreicher Rotwein: Hier rangieren bei der Laienjury die Gläser von Zwiesel und Riedel auf den beiden vordersten Plätzen. Auf Platz drei und vier folgen Orrefors und Zalto. Körperreiche Rotweine: Auch die Laienjury vergab die meisten Punkte an Zwiesel, Zalto und Lobmeyr; auf den Plätzen 4 und 5 die Gläser von Eisch und Stölzle.
Gesamtergebnis beider Jurys
In der Addition der erzielten Punkte beider Jurys stehen bei Riesling und Pinot noir die Gläser von Zalto, Zwiesel und Orrefors auf den ersten drei Rängen. Beim Bordeaux schiebt sich Stölzle auf den dritten Platz. Die ersten drei handgemacht, filigran und teuer (Preise um und über 30 Euro), das Stölzle-Glas maschinengefertigt mit einem empfohlenen Verkaufspreis von 5.55 Euro. BeimPreis-Leistungs-Verhältnis und der Alltagstauglichkeit sind die Gläser von Stölzle klare Favoriten: Mit achtbaren Punktzahlen in allen Kategorien und Preisen unter 7 Euro sind sie am Günstigsten, gefolgt von Leonardo und Riedel. Die handgemachten Gläser rangieren hier bis auf Zalto am Schluss. Im Ranking der Hersteller (Gesamtpunktzahl bei allen drei Weintypen) ist Zalto der klare Sieger, gefolgt von Zwiesel und Orrefors. Die Zalto’Denkart-Gläser beruhen auf dem umfangreichen Wissen des Pfarres Hans Denk, einem in Österreich sehr bekannten Weinexperten. Die bei seinen Glasformen dominierenden Winkel von 24°, 48° und 72° entsprechen dem Neigungswinkel der Erde. Nach alten Überlieferungen soll die Einhaltung dieser Winkel beim Bau von Vorratsgefässen eine längere Frische des Inhalts und einen besseren Geschmack garantieren.
Zweites Fazit
Die Profijury tendiert bis auf die Ausnahme bei den Bordeaux-Gläsern ziemlich einmütig zu den handgemachten Gläsern (zu den etwas günstigeren von Zalto und Zwiesel Kristallglas undzu den teuren von Lobmeyr und Orrefors). Sie liegen nach Meinung der Juroren besser in der Hand, lassen einen Wein filigraner, eleganter wirken und erzeugen einen klaren und angenehmen Kontakt mit den Lippen. Die Laienjury setzt zwar in allen Kategorien auch ein handgemachtes Glas auf den ersten Platz, vergibt jedoch auf den folgenden Plätzen auch gute Punkte an maschinengefertigte Gläser von Riedel und Steger. Bemerkenswert erscheint, dass die von dieserJury gut bewerteten handgemachten Gläser zu den schwereren, stabileren gehören, während besonders leichte, filigrane zurückhaltend gepunktet wurden. Eine Erklärung könnte sein, dass Laien den mit fragilen Gläsern verbundenen mühsamen Handabwasch im Alltagsgebrauch ablehnen, während Spezialspülmaschinen mit passgenauem, schützendem Gläserkorb für die Profis längst eine Alltäglichkeit sind.
Drittes Fazit
Nicht jede Rebsorte braucht ein eigenes Glas, aber jeder Weintyp hat klare Präferenzen. Die Investition in unterschiedliche Gläser lohnt sich. Wieviele das sind, ob maschinengefertigt oder handgemacht, ist eine Frage des Budgets, von Handling, Nutzungshäufigkeit und den Spülmöglichkeiten. Sicher ist: Je besser, älter und wertvoller der Wein, umso höher die Anforderungen an das Glas, an Duftentwicklung und Geschmacksbreite. Überprüfen Sie Ihren Gläserschrank.
Zufällig entstanden
Glas, vermutlich durch einen Zufall erfunden, gibt es seit über 5000 Jahren. Es besteht aus Quarzsand (Siliziumdioxyd), Soda, Pottasche, Kalk sowie einigen Zusatzstoffen wie Barium, Aluminium, Sulfaten, Bleioxyd – das Geheimnis jeder Glashütte. Trinkgläser waren bunt, häufig üppig verziert mit Farben, Gold, Ornamenten, Gravierungen oder kunstvollem Schliff. Mehr Dekoration und Ausdruck von Tischkultur und Wohlstand, als Transport-Medium für Farbe, Geruch und Geschmack des Weins. Von den sehr eleganten mundgeblasenenen Kristallgläsern „Sinfonie A 50” von Gralglas in Göppingen, die in den dreissiger Jahren auf den Markt kamen und wegen Ihrer kühlen Schönheit bei Staatsbesuchen und andern wichtigen Anlässen auf den Tisch kamen, wurden zwar in rund 40 Jahren gut 15 Millionen Exemplaren gefertigt und in der ganzen Welt verkauft – wegen ihrer schalenförmigen, sich nach oben öffnenden Form waren sie indes für konzentrierten Weingenuss völlig untauglich.
Revolutionäre Glaskollektion
Bis Claus J. Riedel 1973 im italienischen Orvieto 10 Gläser einer neuen revolutionären Glaskollektion präsentierte. Er nannte sie „Sommeliers”, weil er sie zusammen mit der italienischen Sommeliervereinigung entwickelt hatte. Diese Gläser waren puristisch-funktional, durchsichtig-klar, hauchdünn (0.6 mm), langstielig und von bestechender Ästhetik, zweifelsohne inspiriert von Gralglas und der Kollektion von Lobmayr. Riedels handgemachte Gläser waren aus Bleikristall, „das Glas muss aus Bleikristall sein, weil es weicher ist in der Verarbeitung” und waren konzipiert für Weine aus den bekannten Anbaugebieten. Man war damals noch der festen Überzeugung, die Zunge sei in Zonen unterteilt, wo die Geschmacks-Empfindungen süß, salzig, sauer und bitter wahrgenommen würden. Riedel begründete damit die unterschiedlichen Stiellängen und Kelchdurchmesser seiner Glasformen – durch sie sollte der Wein an die gewünschte Zone der Zunge herangeführt werden. Riedels Sohn Claus, der ab 1986 das Unternehmen übernahm, setzte auf Rebsortenspezifische Gläser und baute die Sommeliers Kollektion auf 40 Glasformen und Typen aus (die Hälfte sind Gläser für alle denkbaren Spirituosen). Eine harte Herausforderung für manchen Weinfreund hinsichtlich Stauraum und Geldbeutel und im Hinblick auf sehr unterschiedlichen stilistischen Variationen einer Rebsorte. So ist z.B. ein junger Riesling fruchtig-frisch und schlank, eine Spätlese würzig-markant und mit einem spürbaren alkoholischen Kampfgewicht. Diese beiden Typen lassen sich nicht in ein und demselben Riesling-Glas optimal zur Geltung bringen.
Mundgeblasen und maschinengefertigt
Der Markt für Weingläser teilt sich in maschinengefertigte und handgemachte Gläser. Beide in den Varianten Kristallglas und Bleikristall. Bleikristall ist weicher und hat eine leicht porösere Oberfläche, es wird bei rund 1100° geformt. Kristallglas ohne Bleizusatz benötigt 1300° und eine längere Abkühlzeit. Maschinengläser kosten pro Stück bis maximal 20 Euro. Sie sind nicht so empfindlich wie die handgemachten, was vor allem in der Gastronomie eine längere Lebensdauer bedeutet. Handgemachte Gläser entstehen entweder als Freihandgeblasene Gläser, d.h. sie werden mit sinnreich konstruierten Scheren, Holzkellen und -Brettchen oder nassem Zeitungspapier in Form gebracht. Diese Gläser sind handwerkliche Unikate, bei denen kein Glas exakt wie das andere ausfällt, sie sind in der Regel blanker als die Formgeblasenen Gläser bei denen die Glasmasse mit der Glasmacherpfeife in einer millimetergenauen Holzform unter ständigem Drehen ausgeblasen wird. Handgemachte Gläser sind sind elegant-dünnwandig und darum sehr leicht. So wiegt z.B. ein Bordeauxglas grade mal 118 Gramm – das vergleichbare maschinengefertigte 100 Gramm mehr. Aber sie sind auch sehr empfindlich und vertragen keine unsanfte Behandlung. Ihr Preis pro Glas fängt bei etwa 30 Euro an und ist nach oben fast offen. Die teuersten mundgeblasenen Gläser aus den Top-Kollektionen von Riedel oder Lobmeyr liegen bei über 60 Euro pro Glas. Waren maschinengefertigte Gläser noch vor wenigen Jahren an zwei feinen Rippen am Stiel und einer sichtbar angesetzten Bodenplatte zu erkennen, ist die moderne Fertigungstechnik in der Lage, hier Handarbeit perfekt nachzuahmen: Stiel und Bodenplatte werden nicht mehr in der Form gepresst, sondern maschinell und ohne verräterische Rippennahtlos aus dem Kelch gezogen. Die Oberfläche von maschinengefertigten Gläsern ist jedoch glatter als bei mundgeblasenen – für die Freisetzung der Weinaromen ein Nachteil.
Die Zungenkarte ist falsch
Seit über 30 Jahren stimmen Wissenschaftler darin überein, dass die Zoneneinteilung der Zunge auf einer falschen Auslegung von Forschungsergebnissen beruhte: Alle vier Geschmacksempfindungen werden überall auf der Zunge wahrgenommen – bei den Reizschwellen gibt es relativ geringe Unterschiede. Dafür grosse bei der Ausstattung mit Geschmackspapillen. Normalschmecker haben durchschnittlich 180 Geschmacksknospen oder -papillen pro Quadratzentimeter Zunge und insgesamt etwa 2000. Superschmecker kommen auf gut die doppelte Anzahl, pro cm2 etwa 425 und Nichtschmecker auf knapp 100. Mehr als die Hälfte der Menschheit sind den Normalschmeckern zuzurechnen, ein Viertel den Nichtschmeckern und der Rest den Super- oder Hyperschmeckern. Frauen schmecken im Durchschnitt besser als Männer, ebenso Menschen asiatischer Herkunft. Dass sich im Internet jede Menge Texte über diese Zungen-Zonen-Einteilung finden lassen, sogar Schulbücher und farbige Modelle macht einmal mehr deutlich, wie langlebig solche Irrtümer sind – noch heute gilt vielen Spinat als stark eisenhaltig.
Wein wird mehr gerochen als geschmeckt
Gut 80 % unserer Geschmackseindrücke kommen über die Nase. Die Nase entscheidet darüber wie wir schmecken. Wer schon einmal versucht hat, mit verschnupfter Nase einen Wein zu zu beurteilen, weiss, dass er eigentlich nichts schmeckt, wenn er nichts riecht. Die über die Nase eingeschnüffelten Moleküle eines Weins werden an den etwa 350 Typen von Rezeptoren im sogenannten Riechkolben vorbeigeführt. Sie enthalten 25 Millionen Riechzellen (Hunde haben 22x mal mehr davon) mit denen der Mensch theoretisch um die 10.000 Gerüche erkennen kann, von denen er aber nur einen geringen Teil identifizieren kann. Geschulte Parfumeure mit jahrelanger Berufserfahrung sprechen von etwa 600 Gerüchen, die sie sicher erkennen können. Etwa 40 % der Männer können Gerüche, die z.B. in minimalsten Mengen in älteren Weinen vorkommen können, nicht riechen. Dazu gehören der Moschusgeruch und der Geruch von Androstenol oder Körperschweiss. Von denen, die sie erkennen können, sind nur etwa 25 % in der Lage, die Gerüche auch richtig zuzuordnen. Nur rund 20 % des sensorischen Eindrucks liefert der Mund: Informationen darüber, wie süß, sauer, salzig oder bitter ein Wein ist, ob er sahnig, cremig oder sämig ist oder wieviel höherwertige Alkohole (Glyzerin) er enthält. Das sehr fein entwickelte Tastgefühl der Mundschleimhaut vermittelt Eindrücke über Temperatur, Textur, Viskosität und die Intensität von Pfeffrigkeit, Würzigkeit oder Schärfe.
Wein beurteilen
Nach der Farbe sind es die Aromen, die von einem Wein wahrgenommen werden. Je mehr Raum der Wein hat, im Glas zu kreisen, umso grösser ist die benetzte Oberfläche, die Duftstoffe an die Nase weitergeben kann – deshalb maximal bis zur weitesten Stelle des Glases Einschenken. Dünnes Glas beeinflusst die Temperatur des Weines viel weniger als z.B. dickwandiges auf Zimmertemperatur. Auch Anfassen am Stiel oder an der Fussplatte verhindert Temperaturübertragungen. Kenner lassen den Wein im Mund „rollen”, um die gesamte Zunge, den Gaumen, Rachen und den oberen Rachenraum einzubeziehen. Geschmacks- und Geruchssinn arbeiten eng zusammen. Beim Essen und Trinken riechen und schmecken wir gleichzeitig und bezeichnen das Ergebnis als „Schmecken”: Obwohl sie durch den Tastsinn scheinbar im Mund wahrgenommen werden, sind es zu etwa 80% Riecheindrücke, die den Geschmack eines Weines bestimmen. Ein erneutes Riechen mit oder nach dem Probeschluck festigt deshalb den Eindruck. Nach insgesamt 10 Minuten konzentriertem Abriechen ist die Nase erschöpft und die Konzentration gefährdet.