Weinsprache
Weit schwieriger als das Vokabular, das sich in jedem ordentlichen Weinbuch nachlesen und zügig erlernen lässt, ist das Training von Auge, Nase und Zunge und Gaumen verbunden mit der Fähigkeit, Riech- und Geschmackseindrücke zu erkennen, zu speichern und wieder abrufen zu können.
Auf die Frage, wie er den sehr alten seiner wunderbaren und teuren Weine vor sich im Glas kommentieren würde, antwortete Baron Elie de Rothschild (Château Lafite-Rothschild) ungewohnt salopp und eher un-adelig: „Schlabber, schlabber – weg damit“.
Über einen Wein, von dem ein guter Schluck schon einen Hunderter kostet, so zu sprechen, kann sich nur erlauben, wer davon noch mehr im Keller hat oder für den solche Ausnahmeflaschen täglich Brot bzw. Wein sind, wie für den Altmeister im liebevollen Beschreiben von Weinen, den Engländer Michael Broadbent. Hier über einen 1870er Lafite-Rothschild: „Erscheinungsbild nach wie vor schön und reich; Nase gleich nach dem Einschenken käsig mit Sattelgeruch, doch das Bukett entfaltete sich rasch und hielt sich dann eine guter Stunde schön im Glas. Immer noch ein Hauch Süße, nach wie vor ein körperreicher und tanninbetonter, reichhaltiger Wein zum Kauen.“
Normalsterbliche sind bei der Wahl der Worte, mit denen sie ihren Eindruck eines Weins zu formulieren versuchen, oft gehemmt und stehen der sogenannten Weinsprache skeptisch gegenüber. Mitunter zu recht. Zwar erleichtern eine Reihe von Fachbegriffen die kurze und präzise Charakterisierung von Beschaffenheit und Eindruck eines Weines, die Beschreibung sollte aber nicht in eine heisse Blase unverständlichen Insider-Schwulstes ausarten.
Das geht nur mit praktischer Erfahrung, mit vergleichendem Üben am Objekt, am Anfang am besten unter fachkundiger Anleitung in einem Degustations- oder Weinseminar. Dabei geht es stets um die klassische, schon den alten, weinkundigen Römern bekannte Formel: Color (Farbe), Odor (Geruch), Sapor (Geschmack). Sie bestimmt auch die Reihenfolge der Schritte, mit der ein Wein degustiert wird. Ob Rot- oder Weisswein: Farbton, Intensität der Farbe, Klarheit sagen bereits viel über den Wein, Traubensorte(n), Alter und Herkunft aus und geben Hinweise auf seinen Geschmack. Das mögliche Farbspektrum ist breit und umfasst alle denkbaren Gelb-, Gelbgrüntöne. Dabei gilt: Junge Weine sind hellgelb mit grünen Reflexen, ältere Weisse neigen zu Goldgelb oder sind bernsteinfarben wie ein reifer, edelsüsser Sauternes. Ein junger Dolcetto aus dem Piemont funkelt violett-purpur, das satte Rot eines Barolo wird mit dem Alter heller und zeigt Braun- und Rosttöne mit orangen Reflexen. Das dichte Schwarzrot der modischen Rotweine signalisiert intensive Frucht, kompakte Struktur, intensiven Geschmack und Trinkreife im jungen Alter.
Einen Wein riechen heißt schnüffeln, mehrfach ein- und ausatmen um die charakteristischen Geruchskomponenten zu entdecken. Man schätzt, dass die Nase zwischen 2000 und 4000 Düfte wahrnehmen und unterscheiden kann. Das genügt, um aus den bis zu 800 Aromastoffen, die in einem Gramm pro Liter Wein konzentriert sein können, die vier oder fünf zu identifizieren, die das Gesamtaroma dominieren.
Nicht nur Amateure, auch Profis ordnen ihre Geschmackseindrücke nach dem Weinaroma-Rad, das vor etwa fünfzehn Jahren an einer kalifornischen Universität entwickelt wurde. Es besteht aus drei Kreisen. Der innerste besteht aus zwölf Geruchtypen (z.B. fruchtig, blumig, vegetativ, chemisch), unterteilt dann im nächsten Kreis in 29 feinere Geruchsklassen (Zitrusfrüchte, tropische Früchte, Dörrfrüchte, erdig, karamelisiert u.a.). Im dritten Kreis wird es dann in 94 Einzelkomponenten sehr konkret, z.B. Ananas, Aprikose, Honig, geröstetes Holz, Trüffel, Teer aber auch: Seife, nasser Hund, Gummi oder Schweiss. Mit dem Geruchssinn können fast alle Fehler eines Weins identifiziert werden, der Geschmackssinn kann diese Eindrücke allenfalls abrunden. Die Geschmackszellen sind rund tausendmal weniger empfindlich als die Riechzellen und beschränken sich auf vier, neuerdings fünf Empfindungen: Süss, sauer, salzig, bitter und im letzten Jahr dazugekommen: Umami, was mit „wohlschmeckend“ übersetzt wird. Weil die Geschmacksunterscheidungen an unterschiedlichen Stellen der Zunge wahrgenommen werden, muss ein Schluck Wein gerollt und am besten mit etwas Luft im ganzen Mund verteilt werden (geräuschvolles Schlürfen ist dabei erlaubt). Die beim Schlucken (Abgang) entstehenden Eindrücke kommen dann wieder vom Geruchssinn.
Wie sich ein Wein beim Trinken präsentiert, ist das Ergebnis seiner Entwicklung, die auf der ganzen Welt nach dem Winzer-Ausspruch verläuft: Der Boden ist der Vater des Weins, die Rebe die Mutter und das Klima sein Schicksal. Primäraromen (Traubensorte) verbinden sich mit Sekundäraromen (Terroir) und werden beeinflusst von Tertiäraromen (Stahl, Holz).
Die zahlreichen Fachbegriffe, von denen die meisten mit der Entwicklung des Weins zu tun haben, lassen sich hier selbst in kleiner Auswahl nicht abhandeln. Auch hier helfen Standardwerke weiter und geben Antworten auf fast alle Fragen. Den konkreten Umgang mit dem Wein können sie nicht ersetzen, weder den Geruchs- noch den Geschmackssinn schulen.
Leider lassen beide ab circa dem 55. Lebensjahr merklich nach, bei Frauen etwas später. Da ist gut dran, wer die wesentlichen Erfahrungen vorher gemacht hat und sich das Trinken einer schönen Flasche durch die eine oder andere Erinnerung ergänzen kann.