Wein und Essen
Er befällt einen häufiger als man glaubt, meistens in der letzten halben Stunde am Schreibtisch und er ist ein besonders hartnäckiger Gedanke: Heute abend trinken wir wieder mal eine Flasche jenes Weins, der damals und in jener bestimmten Situation so eindrücklich geschmeckt hat.
Begehrlichkeiten dieser Art sind kein Problem, wenn man diese Flasche im eigenen Keller weiss und für die Gestaltung des abendlichen Menüs noch alle Möglichkeiten offenstehen. Dann wird passend zum Wein gekocht, bzw. aufgetischt. Womit angedeutet werden soll, dass es auch zu einer grossartigen Flasche keineswegs immer ein kunstvolles und raffiniertes Menü sein muss: Ein herzhaftes Holzofen-Sauerteigbrot mit schwarzbrauner Kruste und ein Stück höhlengereifter Greyerzerkäse, der durchs Alter weiss geworden und mit feinen Salzkristallen durchsetzt ist, können auch einem grossen Wein die Stirn bieten. Und dieser muss nicht um jeden Preis rot sein; zu vielen Käsen passt ohnehin ein Weisswein viel besser.
Auswärts im Restaurant kann der Glücksfall eintreten, dass der Weinfreak auf der Karte sowohl seine Flasche und die dazupassenden Gerichte findet. Meist aber ist es anders: Erstens ist gerade jene Flasche nicht da und/oder keines der Gerichte will dazu passen. Zweitens bestellt jeder etwas anderes, mehrere Flaschen kommen wegen Budget oder Fahrtüchtigkeit nicht in Frage. Das Ergebnis ist ein Kompromiss oder eine Entscheidung für den Wein oder das Essen.
Damit sind die drei essentiellen Fragen beim Thema „Wein und Essen“ auf dem Tisch: Soll der Wein zum Essen passen oder das Essen zum Wein? Und, was in den Benimm-Führern immer noch zu den ehernen Grundregeln gehört: Weiss vor rot, jung vor alt und weisser Wein zu weissem Fleisch und roter zu rotem Fleisch und Käse?
Während die Antwort auf die erste Frage allein von den logistischen Möglichkeiten und der Konsequenz bestimmt wird, mit der gedankliche Weingelüste umgesetzt werden, sind die Antworten auf die andern Fragen ein lässiges aber klares Jein. Beim Wein und beim Essen hat sich in den letzten Jahren soviel verändert, dass Sie die Regeln in der bisherigen Form getrost vergessen können. Die wichtigsten Veränderungen: Weisse Weine sind einerseits trockener, andere deutlich süsser geworden, die Roten jünger, weicher und geschmeidiger, d.h. Tannine und Säure sind nicht mehr so dominant; dafür sind die Weine dichter, körper- und alkoholreicher.
Parallel haben sich auch die Ess- und Kochvorlieben verändert: Meergetier, Fische, Hühner und weisses Fleisch werden rotem Fleisch, besonders dem von Schwein und Rind vorgezogen; im Trend sind die leichte Küche einerseits und die raffinierte Küche mit hochkonzentrierten, meist süsslichen Fonds; Nudelgerichte mit oder ohne Gemüse, die Fitnessküche, die vegetarische und die euroasiatische Küche mit spürbaren Akzenten von Pfeffern und Gewürzen.
Wenn es da noch Regeln geben kann, dann allenfalls diese: kalt vor temperiert, trocken vor süss, dünn vor dick, leicht vor schwer, weich vor hart, einfach vor komplex. Im Prinzip. Ein kleines Glas kalter honigsüsser Sauternes oder Eiswein können ein spannender und passenderer Aperitif sein, ein Champagner hingegen auch ein idealer Schlusstrunk.
Je nach Zubereitung und Sauce passt z.B. zu einer gegrillten Seezunge auch ein edler roter Bordeaux, genauso zu einem geschmorten Huhn oder Kaninchen aus dem Backofen. Richtig sind aber auch ein trockener kraftvoller Weisser zu einer Hühnerbrust in Morchelrahmsauce oder einem mit Oliven, Tomaten und Knoblauch parfümierten Seeteufel.
Vertrauen und folgen Sie ihrem persönlichen Geschmack oder bitten Sie, falls verfügbar, den Weinkellner oder die Sommelière um einen Vorschlag. Er oder Sie kennen Weine und Gerichte und wissen um die passenden Kombinationen. Und wenn Sie nicht wie Graf Koks auftreten, werden Ihnen Weine empfohlen, die auch in einer angemessenen Relation zum Preis der Spesien stehen. Dabei bedeutet angemessen, dass die Weine in Ihrer Rechnung mindestens fünfzig Prozent oder einen Hauch mehr ausmachen können.
Der qualifizierte Sommelier wird Ihren Wein vorkosten und die Gläser füllen wenn er keinen Fehler feststellen konnte. Wird die die Prüfung nur dem Gast überlassen, ist das Servierpersonal in Weinfragen in der Regel nicht sehr sattelfest. Was auch daran zu erkennen ist, dass der Korken, nachdem er heftig und demonstrativ beschnüffelt wurde, dem Gast (zum Schnüffeln) weitergereicht wird. Dabei gibt der Zapfen allenfalls Auskunft über Jahrgang, Château oder Produzent (Brandzeichen) und ob der Wein korrekt gelagert wurde (Elastizität, Verfärbung). Für junge frische Weisse wäre ein Drehverschluss oder Kunststoffkorken ohnehin geeigneter als ein chlorgebleichter Stummel aus Abfallkork. Und ob ein Wein „Korken“ hat, lässt sich nur im Wein feststellen: Lassen Sie ihn im Glas kreisen, dadurch vergrössert sich die benetzte Oberfläche, der Duft verstärkt sich, riechen Sie am Wein, atmen Sie ihn ein. Das reicht, um etwaige Fehler zu erkennen. Reklamieren Sie auch chemische oder unsaubere Gerüche. Da diese auch vom Glas kommen können, machen Profis vor dem Einschenken einen diskreten Schnüffeltest.
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