Wein probieren
Von den vielen Möglichkeiten, sich mit dem Inhalt einer Flasche Wein auseinanderzusetzen, soll hier auf zwei näher eingegangen werden: Blindverkostung und JLF. Letzteres heisst „je leerer die Flasche“ und ist eine durchaus ernstzunehmende Variante, sich mit Wein im Rahmen eines Essens auseinanderzusetzen; gesellig, unkompliziert und etwas spielerisch.
Blindprobe. Die einzige seriöse Art, Wein unbeeinflusst zu beurteilen. Im Idealfall bekommt der Tester nur eingeschenkte Gläser zu sehen. Wir wollen voraussetzen, dass diese für eine anspruchsvolle Verkostung geeignet und genauso geruchsfrei sind wie der Raum. Und weil ich es gerade vor einigen Tagen einmal mehr erlebt habe: Ein intensives Parfüm, sei es auch noch so edel und teuer, hat auf einer Weinprobe nichts zu suchen, genausowenig wie Zigaretten-, Cigarren- oder mächtig duftende Lippenstiftaromen.
Der Raum ist gut beleuchtet, die Gläser stehen auf einem weissen Papier oder Tischtuch, damit Farbe und Klarheit exakt wahrgenommen werden können.
Wenn Ihnen das Personal zum Servieren auch fehlt, müssen Sie die Flaschen mit Blindprobe-Überzügen aus dem Fachhandel oder mit Papier verhüllen, wenn das Ergebnis neutral sein soll. Und da wir uns nicht nur von Etiketten, sondern auch von Flaschenformen, -hälsen und Kapseln beeinflussen lassen, sollten letztere vollständig entfernt und auch Korken mit eventuell inspirierenden Brandstempeln ausser Reichweite sein.
Benutzen Sie nur einen Korkenzieher der keine Korkfische produziert und bei Bedarf auch mit altersschwachen Korken klarkommt. Werfen Sie alle Korkenzieher endlich in den Müll, bei denen ein Streichholz nicht locker durch das Zentrum der möglichst langen, spitzen, teflonbeschichteten Spirale passt; sie taugen nichts.
Stellen Sie Spuckkübel bereit und zum Neutralisieren der Zunge ein stilles Wasser und allenfalls neutrales Brot.
Die erste Füllung lassen Sie kreisen, bis das Glas möglichst bis zum Rand benetzt ist, gießen es ins nächste Glas, geben es dem Nachbarn weiter usw. Avinieren nennen das die Fachleute, es nimmt dem Glas den letzten Rest Fremdgeruch von Schrank oder Klarspüler. Der Geruchseindruck aus einem Glas, dessen Innenwand durch den Wein benetzt wurde, wird dank der größeren Verdunstungsfläche deutlich intensiver.
Nun geht es los: Sehen, riechen, schmecken, wie im entsprechenden Kapitel beschrieben.
Die Farbe Rot bekommt plötzlich viele Gesichter, Nuancen und Namen. Mit etwas Übung werden Sie bald das Alter z.B. eines Barolos am Orange-Anteil im Rot beurteilen können. Oder schliessen aus der tiefdunklen, fast tintenschwarzen Farbe eines andern Weins auf die konzentrierte Mächtigkeit einer typischen Rhône-Assemblage, die sich in Nase und Gaumen bestätigt.
Tiefes, hörbares Schnüffeln ist erlaubt. Auch, den Wein zusammen mit Luft geräuschvoll über die Zunge zu ziehen, damit alle Geschmackspapillen bedient werden. Es kann bei solchen Blindproben passieren, dass der Lieblingswein gegen einen andern, neuen, vielleicht sogar billigeren plötzlich keine Chance mehr hat. Oder dass die sündhaft teure Flasche keinen bleibenden, geschweige denn einen überzeugenden Eindruck hinterlässt.
Wenn es einfach darum geht, herauszufinden, was schmeckt und Spass macht, darf man schon mal Äpfel mit Birnen vergleichen; in der Art Fahrrad, Limousine oder Sportwagen. Wenn es darum geht, welcher Wein besser oder schlechter ist, müssen die Flights, wie die Weine einer Probengruppe genannt werden, vergleichbar oder gleich zusammengestellt sein: Trauben, Jahrgang, Barrique oder nicht, Temperatur und Preislevel. Stellen Sie zum Beispiel eine Probe aus Pinot noir-Weinen aus europäischen Ländern zusammen, eine Syrah-Degustation mit Weinen von der Rhône und aus der Neuen Welt, Barrique-Chardonnays von rund um den Globus. Oder erst einen Flight Weißen, dann einen Roten, oder Schaumweine gegen Champagner. Halten Sie Ihre Eindrücke in einigen Stichworten fest, auch wenn Sie mit der sogenannten Weinsprache nicht vertraut sind. Oder verteilen Sie Punkte (z.B. nach dem 20er-Punkte-System). Hauptsache, Ihre Notizen helfen Ihrer eigenen Erinnerung später auf die Sprünge.
Für einen Abend mit Freunden, bei dem Essen und Wein zwar eine Rolle spielen, aber nicht im Mittelpunkt stehen sollen, dürfte die sogenannte JLF-Probe geeignet sein. JLF wurde von der Weinzeitschrift Merum erfunden, die regelmässig Ergebnisse solcher Proben-Veranstaltungen publiziert. Zu einem Essen werden 8-12 verschiedene Flaschen auf den Tisch gestellt, alle trinken was gefällt und zum Essen schmeckt. Am Ende des Abends wird gemessen, wieviele Zentimeter die Pegelhöhe noch beträgt. Die leerste Flasche hat gewonnen. Wer Beeinflussungen durch das Etikett gänzlich ausschliessen möchte, sollte auch hier die Flaschen maskieren und nur durch Nummern unterscheidbar machen.
Man braucht übrigens nicht für jeden Wein ein frisches Glas. Bei Weinen aus den gleichen Trauben ist es völlig ausreichend, das Glas sorgfältig zu leeren, bei sehr unterschiedlichen Weinen genügt ein Ausschwenken mit etwas Wasser.
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