Verkorkster Korken
Schimmelig-dumpf müffelt der Wein im Glas. Der Oberkellner zieht die Braue hoch: „Ja doch, Kork”. Der Gast ist erleichtert. Nicht immer ist man sich so schnell einig. Die zweite Flasche riecht und schmeckt, wie sie soll. Zuhause gibt es meistens keine Ersatzflasche, schon gar nicht, wenn der Kauf schon längere Zeit zurückliegt.
Viele Weinmacher schwören auf Naturkorken und wollen von andern Lösungen nichts wissen: Wolf-Dieter Salwey, Top-Winzer aus Oberbergen verwendet nur beste Naturkorken, prüft aber jeden einzelnen gründlich. Für Fritz Groebe vom gleichnamigen Weingut ist es gar „eine Frage von Ethik und Weinkultur und die einzig logische Konsequenz nach all der Handarbeit”. Michael Broadbent, langjähriger Direktor des Wein-Departements von Christie’s in London, hält „Kronkorken auf dem Wein für einen Gegenstand der Verachtung”. Paula Bosch, Chefsommelière im Münchner Dreisternelokal Tantris kaufte viele Jahre nur Weine mit Naturkorken „wir legen größten Wert auf Qualität. Lieber zwei Prozent Ausfall als unter Schraubverschlüssen müde und schlaff gewordene Weine”, räumt aber ein, inzwischen auch mit Glasstopfen gute Erfahrungen gemacht zu haben.
Weinregionen und -Verbände, darunter Chianti Classico, Brunello, Barolo, Barbaresco, auch Katalonien, Priorat, Penedès, Monsant, Franciacorta und Cava haben in ihren Reglementen festgelegt, dass aussschliesslich Naturkorken auf die Flaschen kommen dürfen. In Bordeaux und im Burgund steht zwar nichts in den Vorschriften, auch nicht in der Champagne, wo die Flaschen jahrelang unter Edelstahlkorken reifen – verkorkt jedoch wird traditionell. Der Verband Deutscher Prädikatsweingüter, geht sogar in engen Schulterschluss mit der Korkindustrie und trommelt mit „Natürlich Kork”.
Auch die Weintrinker lieben den Korken, verbinden mit ihm das Erlebnis des Weingeniessens – besonders romantische gern bei Kerzenlicht unter schmiedeisernen Weinlaubgirlanden. Selbst jungen Weinfreaks, die Feder und Tinte nicht mehr kennengelernt haben und längst souverän mit Internet und PC umgehen, häng teilweise noch am altmodischen Plopp ohne sich zu fragen, ob es wirklich hipp ist, im 21. Jahrhundert Gefässe mit einem Stück Rinde zu verschliessen.
Problem 1: Korkschmecker
Hauptsächliche Verursacher des meist muffig-dumpfen, oft stechenden Geruchs (wie modriger Karton, bitter im Gaumen) sind Moleküle von Trichlorphenol, das als natürliche Substanz in Holz und Korkrinde vorkommen kann und durch Mikrorganismen in das gefürchtete 2,4,6-TCA, Trichloransisol, umgewandelt wird. 1 Gramm genügt, um 500 Millionen Liter Wasser (verbraucht Berlin an einem kühlen Tag) einen spürbaren Korkgeschmack mitzugeben. Bei einer Flasche leichten Weissweins genügt ein Milliardstel davon, 1 Nanogramm, bei Rotwein ist die Wahrnehmungsschwelle deutlich höher, da braucht es schon 30 Nanogramm. Bei Schaumweinen ist TCA wegen des Co2s, der Kohlensäure, erschwert wahrnehmbar.Es scheint aber so zu sein, dass gut ein Drittel aller Weintrinker einen „Korken” überhaupt nicht erkennen (können), ein weiteres Drittel reagiert erst auf Konzentrationen, die deutlich über den Wahrnehmungsschwellen von 1 bzw. 30 Nanogramm liegen.Das bedeutet: gut die Hälfte aller „Korken” werden gar nicht erkannt. Keineswegs alle Fehlgerüche und -aromen gehen jedoch zu Lasten der Korken. Obwohl Weine generell besser geworden sind und sich die Kellertechnik enorm verbessert hat, gibt es Weinfehler, die auch bei anderen Verschlüssen auftreten können. Was sich beim Kork über viele Jahre eingespielt hat, z.B. der Umgang mit Schwefel oder Sauerstoff, muss für alternative Verschlüsse erst gelernt und angepasst werden.
Problem 2: Sauerstoffdurchlässigkeit
Zwischen einem Kubikzentimeter und einem Liter Luftaustausch pro Tag (!) kann sie zwischen zwei Korken scheinbar gleicher Qualität varieren. Natur eben. Bei länger lagernden Weinen wirkt sich das auf den Reifeprozess, den Grad der Oxidation und den Füllstand deutlich aus. Mit anderen Worten: Keine Flasche ist wie die andere. Das fällt bei teuren Bouteillen, die nicht einfach so hintereinander weggeschluckt werden, zwar nicht so auf und mag sogar seinen Charme haben. Erzeuger oder Konsumenten, die jedoch auf Beständigkeit in Geruch und Geschmack Wert legen, wollen kein Roulett spielen. Nomacorc, nach eigenen Angaben Weltmarktführer bei alternativen Verschlüssen, wirbt mittlerweile mit der Durchlässigkeit ihrer extrudierten Korken (sehen aus wie das Ende eines Zigarettefilters) und bietet unterschiedlich „atmende” Stöpsel an „damit der Weinmacher die Entwicklung seines Weins besser steuern kann”. Light, Smart Classic und Premium sollen während Lagerzeiten von 12-72 Monaten dem Wein den angeblich benötigten Sauerstoff zulassen.
Kork ist ein Material mit vielen Eigenschaften: elastisch, porös, isolierend, geruchsneutral, wasserundurchlässig, haltbar, frostfest, leicht, gut zu verarbeiten, billig, verschleissfest, hochwertig und dennoch regenerierbar, recyclebar, nachhaltig, ökologisch unbedenklich. Natur eben.
Und weil die Korkeichen rund ums Mittelmeer gleich neben den Olivenbäumen und Weinstöcken wachsen, war der Weg vorgezeichnet. Stopfen aus Korkeichenrinde ersetzten auf den Tonkrügen die ölgetränkten Stoffknäuel, die ranzig rochen und nie dicht waren. Auch bei den Glasflaschen war Kork während Generationen der bestmögliche Flaschenverschluss ohne eine Alternative.
Nach Angaben der Korkindustrie sind allenfalls 2 Prozent aller Korken mit Trichloranisol (TCA) verseucht. Nach Meinung von Sommeliers und Weinjournalisten, die regelmässig Weine degustieren, liegt die Quote im Jahresdurchschnitt über alle Preissegmente jedoch eher bei 15 Prozent, deutlich abnehmend mit dem Ansteigen des Preises. Das sei noch viel zu wenig, protestieren die Profis mit den supersensiblen Nasen und Gaumen, die auch versteckte „Korken” erkennen können. Nach deren Schätzungen hat mindestens ein Viertel aller Weine einen korkbedingten Fehler. Das deckt sich mit der freimütigen Aussage von Cork Supply, einem internationalen Korkhersteller mit drei Betrieben in Portugal, dessen neue, hochsensible Gaschromatographmaschinen zwischen 20 und 25 Prozent aller Korken als belastet aussortieren würden.
Inzwischen gibt die Korkindustrie zu, dass die steigende Nachfrage nach Naturkorken zu Engpässen und zu minderen und schlechten Qualitäten geführt hat: Statt frühestens nach 9 Jahren wurden die Korkeichen auch schon in kürzeren Abständen geschält, das Wachstum beschleunigt, mit Chemie eingegriffen und teilweise so unsauber gearbeitet, dass gesunde Korkplatten beim Waschen im mehrfach verwendeten TCA-verseuchten Wasser kontaminiert wurden.
Solange das Verschlussmonopol bestand und die Geschäfte glänzend liefen, bestand keine Notwendigkeit für Forschung, Investitionen und Qualitätskontrollen. Inzwischen aufgewacht, unternimmt die Korkindustrie massive Anstrengungen. Es geht um rund 100.000 Arbeitsplätze in 7 Ländern und um 2,2 Mio Hektaren Korkwälder, die im Ökosystem der Mittelmeerländer eine tragende Rolle spielen – allerdings auch, wenn kein Kork mehr abgebaut würde. Marktführer Amorim, der etwa ein Viertel der Korkweltproduktion herstellt, spricht von 43 Millionen Euro, die in den letzten Jahren in Qualitätsverbesserungen und -kontrollen investiert worden seien – ganzheitlich, in allen Phasen von der Rinde bis in die Flasche. Aber dieser Aufwand fordert seinen Preis – selbst einfache Naturkorken sind inzwischen genauso oder sogar teurer als Drehverschlüsse, obwohl die Wälder dank EU-Förderprogramm jährlich um 4 % zunehmen.
In Deutschland werden jährlich Weine und Schaumweine im Wert von rund 2,7 Milliarden Euro getrunken. Davon sind 68 % laut Korkindustrie mit Naturkorken verschlossen. Unterstellt man eine Korkquote von 2 %, wird jährlich Wein im Wert von 54 Millionen Euro in den Abfluss gespült, bei einer Quote von 15 % wäre es Wein im Wert von 405 Mio. Euro. Produziert, bezahlt, vernichtet.
Was für eine Verschwendung an Arbeit, Geld, Energie und Engagement. Stellt man dagegen, was die Korkindustrie im Jahr in der Bundesrepublik mit Weinverschlüssen insgesamt umsetzt, wird die Rechnung vollends bizzar: rund 87 Mio Euro. D.h. bereits bei einer Korkquote über 5 % wird mehr Wein vernichtet, als der Kork Umsatz bringt. Vom Gewinn und Produkthaftung ganz zu schweigen. Das ist blanker Irrsinn und auch mit nostalgischem Korkfeeling nicht zu rechtfertigen.
Trotz allem hat Kork Qualitäten, die von anderen Verschlüssen nicht oder nur teilweise erreicht werden: So schneiden in Tests Kunststoffkorken regelmässig deutlich schlechter ab und die Werte der einfachen Drehverschlüsse liegen in etwa gleichauf. Das liegt hauptsächlich an den Flaschen, deren Fertigungstoleranzen vom elastischen Naturmaterial einfach besser ausgeglichen werden können, auch wenn deren Natürlichkeit längst nicht mehr so hundertprozentig pur ist: Nach dem Kochen werden die Korken mit Schwefel sterilisiert, ausgestanzt und – dank einer bürokratischen EU-Verordnung aus den 90er Jahren – auf Norm geschliffen. Leider wird dadurch die vom Stanzmesser erzeugte wellenartige Oberfläche, die eine zusätzlicher Dichtwirkung hätte, abgeschliffen. Es folgen Waschen und Bleichen mit Chlor und Peroxid, Ozonisieren, Kolmatieren (Poren und Risse auffüllen) und evtl. Färben. Damit die Stöpsel leicht in die Flaschenhälse flutschen, werden sie zusätzlich mit Wachs oder Silikonemulsionen „veredelt”.
Korkgefühl und Weinseligkeit hin oder her: Die Verwendung von Naturmaterial ist mit Risiken verbunden. Gerade bei Granulatkorken, den sogenannten Technischen Korken, die aus Stanzabfällen gepresst werden, ist das Risiko besonders hoch – trotz Behandlung mit Mikrowellen, Elektronen, Enzymen oder Handsortierung. Kronenkorken, Glaspfropfen und hochwertige Drehverschlüsse der neuesten Generation liefern bessere, weil konstante und geruchsneutrale Ergebnisse.
Auch interessante Entwicklungen wie der HISS-Korken mit dem Zinnhütchen, oder Korken mit TCA-Verhüterli aus Folien und Spezialmembranen oder die mit superkritischem Kolendioxid CO2 oder mit kontrollierter Dampfdestillation optimierten Verschlüsse aus Korkgranulat bringen zwar Verbesserungen in der Ausfallquote, ändern aber nichts am zweiten Problem, der sehr unterschiedlichen Dichtheit.
Die Kunststoff- und Granulatkorken, die vor einigen Jahren die Naturkorken und deren Probleme abzulösen schienen, waren ein Strohfeuer, das davon profitierte, dass die gleichen Flaschen, Verschlüsse und Verkorkungsmaschinen wie für Korken verwendet werden konnten. Wegen unzureichender Dichtheit, Leim und Weichmachern, die in den Wein übergehen können sowie unbefriedigenden Testergebnissen stehen diese Lösungen bei Winzern nicht mehr so hoch im Kurs und werden nur für kurzlebige Weine verwendet. Die Versuche eines weltbekannten Unternehmens mit einem Membran-Verhüterli für Naturkorken wurden gerade abgebrochen. Zu viel Aufwand, zu langwierige Testprozeduren. Keine Perspektive auf einem hart umkämpften Markt, der zu den billigeren Drehkapseln zu tendieren scheint, die in Neuseeland bereits 95 % der Verschlüsse stellen.
Absolut positiv sind die Erfahrungen mit Edel
stahlkronenkorken, Glasstopfen und den neuesten Drehverschlüssen. Auf Herstellerseite wie bei Weintrinkern. Das Weingut Schloss Vollrads verschliesst wegen positiver Kundenresonanz inzwischen auch die wertvollen edelsüssen Spitzenweine mit dem Vino-Lok-Glaspfropfen. In Oestrich im Rheingau schwören Peter Querbach und die jungen Wilden der Garage-Winery Hammond auf den Edelstahlkronenkorken. Oft sind die neuen Verschlüsse so elegant unter Kapseln verhüllt, dass man nicht erkennen kann, welcher Verschluss sich darunter verbirgt.
Auch die ersten Ergebnisse des bisher einzigen absolut luftdichten All in Glass-Verschlusses des Erfinders Rudolf Gantenbrink Kronenkorken sind vielversprechend. Adriano Kaufmann, Winzer im Tessin, hat einen Teil des Sauvingon blanc des 05er Jahrgangs nach dieser Methode verschlossen und ist bei jedem Vergleich begeistert: „Endlich habe ich als Winzer die Gewähr, dass später genau das Produkt, das ich ausgebaut und abgefüllt habe, in der Flasche ist. Der Wein ist absolut authentisch und der Inhalt jeder Flasche ist gleich. Auch kürzlich in Bordeaux verkostete Abfüllungen von Château Ausone 2000 bestätigten eindrücklich diese Reproduzierbarkeit und neutrale Reifung.”
Leider ist das Verfahren, bei dem Glas und Glasverschluss bei 1200° verschweisst, aber absolut splitterfrei geöffnet werden können, deutlich teurer als alle andern und bedarf vor allem eines entschlossenen Investors. Zudem wird es von jenen Weinexperten, die eine Sauerstoffzufuhr bei der Reifung immer noch für unverzichtbar halten, heftig abgelehnt. Dabei häufen sich Untersuchungen, die belegen, dass der im Rotwein gebundene Sauerstoff für die Reifung völlig ausreicht. Dafür sprechen auch Jahrgangschampagner, die viele lange Jahre, bevor sie für den Versand verkorkt wurden, unter einem Edelstahlkronenkorken gereift haben. Oder alte Rotweine, deren Korken und Flaschenhals mit Siegellack gesichert waren. Auch die allgemein akzeptierte Tatsache, dass Rotwein in Magnum- oder noch grösseren Flaschen besser reift, ist mit dem logischerweise geringeren Sauerstoffaustausch nicht zu erklären.
Fazit: Je länger ein Wein lagern und reifen soll, umso dichter und neutraler muss der Verschluss sein.
1. Naturkorken erster Wahl sind Weinen vorbehalten, die lange lagern sollen und bei deren Preis selbst ein Korken für zwei Euro nicht ins Gewicht fallen würde. Wer in dieser Preiskategorie auf Korken verzichten kann, aber die neuesten Drehverschlüsse nicht für wertig genug hält, verschweisst Glas luftdicht mit Glas.
2. Glasstopfen, Drehverschlüsse mit zinnbeschichteter Dichtung, Kronenkorken und allenfalls selektierte Naturkorken kommen auf Weine, die noch etwas lagern, aber Rasse und Frische behalten sollen.
3. Weine, die jung getrunken werden, bekommen Kronenkorken, einen Knack-Drehverschluss oder einen Kunststoffkorken der neuesten Generation.
Leider wird die Verbreitung alternativer Verschlüsse gebremst, weil die Weinerzeuger ihre Abfüllmaschinen nicht umrüsten müssen, solange sie Kork oder Kunststoff verwenden. Mobile oder gemeinschaftliche Abfüllanlagen sind eher verpönt.
Die Konsumenten, soviel steht nach den bisherigen Erfahrungen fest, wären die letzten, die mit alternativen Verschlüssen nicht klarkämen.