Vita

Christian Wenger (Jahrgang 47) lebt in der Alta Langa im Piemont, wo er eigenen Wein anbaut und in Hamburg. Er schrieb viele Jahre über Wein für die Financial Times, Stern, Feinschmecker, Alles über Wein u.a. Parallel betrieb er das W+P Büro für Kommunikation, Hamburg, spezialisiert auf ganzheitliche Corporate Identity, Strategien, Konzepte, Projekte für Unternehmen, Medien und Märkte. U. a. für Schweizer Rück, Deutsche Börse, Fraunhofer Gesellschaft. Davor Studium der Germanistik und Soziologie, Redakteur bei DIE ZEIT und ZEITMagazin, Vorstandsassistent und Objektmanager bei Gruner+Jahr, Verlagsleiter und Geschäftsführer bei WIRTSCHAFTSWOCHE, Düssseldorf, MANAGER MAGAZIN und DER SPIEGEL, Hamburg.

Christian Wenger, Studies of Literature and Sociology, is Wine Writer for „Stern”, „Financial Times”, „Süddeutsche Zeitung”,”Der Feinschmecker” and „winedine.de” Member of FIJEV International Federation of Wine and Spirits Writers, Slow Food. Christian lives in Piemonte and Hamburg and loves Nebbiolo and all good sparklings.

WINEDINE

Christian Wenger über Weine, Weinproduzenten, Restaurants & Hotels und Kulinarisches

Kulinarik als tragende Säule

20. Oktober 2022, 21:14 Uhr

Das Grand Resort Bad Ragaz hat vor einigen Jahren die gehobene Kulinarik als eine der tragenden Säulen für die Entwicklung des Resorts zum führenden Hotelresort definiert, die andern beiden sind Spa+Sauna sowie Medizin. Und man ging entschlossen an die Umsetzung der Vorgabe: Das Resort Ragaz bietet seinen Gästen inzwischen sieben Restaurants. Darunter das gerade auf drei Michelin-Sterne erhobene „Memories” von Sven Wassmer und das mit zwei Sternen ausgezeichnete IGNIV mit Joel Ellenberger unter der Regie von Andreas Caminada.
Sieben Restaurants bei insgesamt 268 Zimmern in vier Hotels dürfte die höchste Anzahl von Restaurants innerhalb eines Resorts sein. Dreinhalb Tage bleiben die Besucher im Jahresdurchschnitt, die durchschnittliche Auslastung liegt bei 64%. Aus der Schweiz kommen 60%, 15% aus Deutschland. Rund 40% sind Stammgäste, die eine durchschnittliche Roomrate von 670 Franken pro Nacht bezahlen.
Im medizinischen Bereich im separaten Tower, logieren viele Gäste aus Arabischen Ländern, bis vor dem Ukrainekrieg auch Russen. Sie werden betreut von 30 Fachärzten, deren Kernkompetenzen auf der Lebensstil- und Ernährungsmedizin, Rheumatologie, Sportmedizin liegen sowie auf den Bereichen Schönheit und Ästhetik. Im gesamten Resort Ragaz ist das Wasser der nahegelegenen Tamina-Quelle allgegenwärtig. Es strömt mit 36.5° aus dem Berg und wird mit heilendem Erfolg getrunken, das Wasser fliesst in allen Bädern und Saunen, in der Tamina-Therma und ist auch in den Hotelzimmern verfügbar. Die zwei Golfplätze direkt am Resort sind sehr beliebt bei Hotelgästen wie Greenfeespielern. Im Winter bieten die nahegelegnenen Flumserberge Skivergnügen auch für die Familie.

Die im Oktober verliehenen drei Michelin-Sterne waren beim letzten Abendessen im September 2022 absehbar: Im neungängigen Menü setzte Sven Wassmer (35) seine Philosophie konsequent um: sein Bewusstsein für Produkte, Innovation und Saisonalität interpretiert er klar und reduziert. Seine neue Schweizer alpine Küche ist ein authentisches und naturverbundenes Gesamterlebnis. Internationale Luxusprodukte werden in seinem Konzept nur sehr eingeschränkt verwendet, dafür die besten Produkte aus der Nachbarschaft. 279 CHF kostet der Neungänger, für die Weinbegleitung, welche die Bündner Herrschaft sehr represäntativ einschliesst, sind mindestens 135 CHF anzusetzen. Erfrischend ungezwungen ist die Atmosphäre während des ganzen Abends im Restaurant. Es gibt keine Kleidervorschriften. Wer sich einen der sechs Barplätze, auf Tuchfühlung mit der in der offenen Küche arbeitenden Mannschaft, muss rechtzeitig kommen – sie können nicht reserviert werden. Um die Nachhaltigkeitsqualitäten sowie die Vorreiterstellung bei umweltfreundlichen Initiativen hervorzuheben, wird das Memories auch neu mit dem MICHELIN Green Star ausgezeichnet. Damit zieht das Memories auch hiermit gleich mit den drei andern Dreisterne- Restaurants in der Schweiz: Cheval Blanc by Peter Knogl in Basel, Restaurant de l’Hôtel de Ville in Crissier am Genfersee und Schloss Schauenstein in Fürstenau. Auch im anderen Top-Lokal des Resorts, im Igniv by Andreas Caminada, wird auf höchstem Niveau gekocht. Hier hat Joel Ellenberger im Frühjahr das Szepter übernommen, nachdem Caminada seinem Vorgänger Sivio Germann das neuste Lokal in der Caminada-Familie übertragen hat, dem Mammertsberg in Roggwil über dem Bodensee. Das Igniv-Konzept orientiert sich am Sharing-Gedanken: Alles, was auf den Tisch kommt, wird von den Gästen am Tisch geteilt. Die Küche ist konzentriert-reduziert, arbeitet gerne mit Zutaten auf regionaler Basis und kombiniert diese mit internationalen Spezialitäten. Beim letzten Besuch im September 2022 zog sich ein interessanter Spicy-Faden durch fast alle Gerichte. Die Mannschaft im Restaurant wird souverän dirigiert von Susanne Schneider.

Die gebürtige Engländerin Amanda Wassmer-Bulgin ist seit 2019 verantwortliche Wein Direktorin für alle Restaurants im Hotel Quellenhof Bad Ragaz. Sie ist verheiratet mit Sven Wassmer, Chef des Sternerestaurants „Memories“ im Resort. Sie hat zwei Kinder und ist derzeit in den Vorbereitungen für die anspruchsvolle Prüfung zum Master Wine, MW in London. Winedine nutzte die Gelegenheit vor Ort für ein Interview.

ZUM UMGANG MIT THERMALWASSER: Man braucht einen trainierten Gaumen, um Wasser und Mineralwasser unterscheiden zu können. Wir bieten grundsätzlich zuerst unser Thermalwasser an und ergänzen das gerne mit dem Piz Sardona, einem basischen Mineralwasser aus den Höhenlagen vom nahgelegenen Mels.

SPARKLING ODER STILLES WASSER: Solange der Gaumen sich damit wohlfühlt und man sensorisch genau bleibt, kommt das nicht so drauf an. Persönlich ist mein Gaumen mit den teilweise salzigen Wassern aus Deutschland etwas überfordert.

VORGEHEN BEIM WEINPAIRING: Ich gehe da sehr systematisch vor. Ein Gericht habe ich in der ersten Phase meistens nicht. Ich weiss aus der Küche, welche Zutaten und Produkte eine Rolle spielen, ob auf die Jahreszeit eingegangen wird oder ob z.B. etwas fermentiert wird. Dann fange ich an, diese Produkte in Moleküle zu zerlegen. Einfaches Beispiel: grüne Paprika, kühle Aromen voll mit Pyrazinen, es hat Butter dabei oder Sauerrahmbutter mit Diacetyl, also Butteraroma. Dann gehe ich durch meine Weindatenbank und suche nach Traubensorten mit diesem Profil und komme z.B. auf Sauvignon blanc, der im Holz ausgebaut wurde. Wenn Theorie und Praxis übereinstimmen, was in 99% der Fälle zutrifft, müsste das – zumindest theoretisch – passen. Als nächstes spreche ich mit meinen Sommeliers, wir tragen Weinvorschläge zusammen und probieren zusammen mit dem Gericht. Manchmal ändert die Küche eine Kleinigkeit, brät z.B. den Fisch an statt ihn zu dämpfen, gibt einen Hauch Pfeffer dazu etc. … Ferran Centelles, der Sommelier in Ferran Adrias „elBulli” hat nach dieser Methode gearbeitet – das hat mich sehr fasziniert, auch wenn viele Sommeliers anders vorgehen.

Umgekehrt kommt es bei Wine&Dines oder bei Events schon mal dazu, dass die Küche zu einem Wein ein Gericht entwickelt, wie etwa für einen Champagner-Anlass im vergangenen Jahr. Da habe ich zu Sven (Küchenchef im Memories und Ehemann) gesagt: hier brauche ich etwas in diese oder jene Richtung.

WEINKENNER ODER LIEBER EINEN LAIEN ALS GAST: Interessante Frage. Teils, teils. Ich finde es toll, wenn ein Gast viel weiss oder mir etwas Neues zeigt. Grundsätzlich weiss der Gast mehr. Manchmal ist es falsch, auch wenn der Gast ganz viele Apps auf seinem Handy hat. Der Gast soll zufrieden sein und sich mit dem Wein wohlfühlen – es macht mir gar nichts aus, nur den Wein zu öffnen oder beim Lüften zu helfen.

WEINEMPFEHLUNG UND MENÜKOSTEN: Ich frage meistens, was die Gäste sonst so trinken, um mir ein Bild zu machen und zeige im Sinne der klassischen Verkaufstechnik drei unterschiedlich Vorschläge aus der Weinkarte. Startet ein Gast mit einem Jahrgangschampagner von Krug und lässt durchblicken, dass er auch bei einfacheren Gerichten vielleicht zu einen Château Pétrus greift, mache ich passende Vorschläge und diskutiere die Preise diskret. Weine zu empfehlen, die preislich weit über dem ausgewählten Menü stehen, finde ich ein absolutes No-go. Es ist die Aufgabe eines Sommeliers, mit Feingefühl und Empathie die Grenzen auszuloten und anzuwenden. So ist es mir in meiner ganzen Praxis noch nie passiert, dass ein Gast einen Wein nicht zahlen wollte.

NACH DEM PROBIERSCHLUCK LEHNT DER GAST DEN WEIN AB: Das kommt immer mal wieder vor, obwohl der Wein keinen Fehler hat. Auch hier geht es um eine Dienstleistung: Der Wein soll dem Gast gefallen und ihm Freude machen. Wenn ich einen Wein empfehle, dann glaube ich an ihn. Wenn er dem Gast aber gar nicht gefällt, ersetze ich ihn selbstverständlich. Ich kann den Rest ja vielleicht glasweise ausschenken oder für ein Training benutzen, da gibt es viele Möglichkeiten. Bei gereiften und teuren Weinen versuche ich direkt herauszufinden, ob der Gast Erfahrung hat mit gereiften Weinen. So erinnere ich mich an einen Gast, der unbedingt einen Wein von Gaja aus 1966 haben wollte. Im Gespräch stellte sich aber schnell heraus, dass er keinerlei Erfahrung mit solchen Weinen hatte – er wollte es halt mal probieren. Er kam davon ab, nachdem ich ihn über das andere Aromenspektrum eines gereiften Weines aufgeklärt hatte. Oft können sich Gäste, die wenig Ahnung vom Wein haben, dazu schlecht ausdrücken. Die sagen dann oft, ich mag keine schweren Weine, meinen damit aber spürbare Tannine. Da behelfe ich mir häufig, indem ich den Gast aus der Weinbegleitung zwei unterschiedliche Weine probieren lasse und darauf die Auswahl der Flasche abstimme. Das braucht zwar etwas Zeit am Tisch, aber dafür ist ein Sommelier da.

ZALTO-GLÄSER IM MEMORIES: Hier bewegt sich der Markt, es kommen neue Formen und Glastypen. Da ich eher klassisch orientiert bin, was Gläser und Besteck anbelangt, bin ich bisher keinem andern Hersteller begegnet, dessen Gläser so viele Anwendungen wie bei der Weinbegleitung abdecken und auch optisch und haptisch erstklassig passen. Wir machen bei der Weinauswahl regelmässig Tests, um das am besten passende Glas zu finden und sind immer wieder erstaunt, wie häufig das Zalto-Universalglas am besten abschneidet. Die zurzeit sehr gelobten Gläser von Josphinenhütte habe eine ausgezeichnete Sensorik. Persönlich bevorzuge ich für mich aber eine einfachere Optik.

SCHWEIZER WEINE: Man kann nicht alles haben. Allein die Weine aus der Bündner Herrschaft, die bei uns ziemlich komplett vertreten sind, decken schon viele Anwendungen ab. So gesehen fühle ich mich als Ambassadrice der Region und wir servieren in jeder glasweisen Weinbegleitung mindestens einen Pinot noir und einen Weisswein. Aber auch die andern Schweizer Weinregionen haben wir ständig im Blick und werden das Sortiment in diese Richtung ergänzen. Es gibt hervorragende Produzenten, die ich gerne auch im Angebot hätte. Trotz der Verbundenheit mit der Region: Wenn wir einen Riesling anbieten möchten, dann suchen wir den in Deutschland, weil wir den besten servieren wollen und keinen Kompromiss machen.

IHR LIEBLINGSGAST: Gäste, die wissen was sie wollen, sich auskennen aber trotzdem offen sind für Neues, das ich Ihnen gerne zwischendurch zum Probieren anbiete. Mich freuen aber auch Gäste, die wenig wissen und sich entspannt auf Unbekanntes einlassen. Also die Einfachen und die Komplizierten.