Vita

Christian Wenger (Jahrgang 47) lebt in der Alta Langa im Piemont, wo er eigenen Wein anbaut und in Hamburg. Er schrieb viele Jahre über Wein für die Financial Times, Stern, Feinschmecker, Alles über Wein u.a. Parallel betrieb er das W+P Büro für Kommunikation, Hamburg, spezialisiert auf ganzheitliche Corporate Identity, Strategien, Konzepte, Projekte für Unternehmen, Medien und Märkte. U. a. für Schweizer Rück, Deutsche Börse, Fraunhofer Gesellschaft. Davor Studium der Germanistik und Soziologie, Redakteur bei DIE ZEIT und ZEITMagazin, Vorstandsassistent und Objektmanager bei Gruner+Jahr, Verlagsleiter und Geschäftsführer bei WIRTSCHAFTSWOCHE, Düssseldorf, MANAGER MAGAZIN und DER SPIEGEL, Hamburg.

Christian Wenger, Studies of Literature and Sociology, is Wine Writer for „Stern”, „Financial Times”, „Süddeutsche Zeitung”,”Der Feinschmecker” and „winedine.de” Member of FIJEV International Federation of Wine and Spirits Writers, Slow Food. Christian lives in Piemonte and Hamburg and loves Nebbiolo and all good sparklings.

WINEDINE

Christian Wenger über Weine, Weinproduzenten, Restaurants & Hotels und Kulinarisches

Grüner Daumen

5. Mai 2022, 19:12 Uhr

da mittlerweile über 15% der Weinberge in der Champagne biologisch bearbeitet werden (davon bisher 3 % bio zertifiziert), ist es eigentlich nicht weiter erwähnenswert, wenn weitere dazukommen. Immerhin produzieren etliche Marken schon seit längerer Zeit biologisch hergestellte Champagner: z.B. Beaufort, Drappier, Duval-Leroy, Fleury, Lanson. Wenn sich aber das in Frankreich grösste Champagner-Haus dazu entschliesst, die erste Organic-Cuvée auf den Markt zu bringen, darf das hier kommentiert werden.
Nicolas Feuillatte liegt mit jährlich 12 Mio Flaschen auf dem französischen Markt an der Spitze, weltweit nach Moet & Chandon und Vranken-Pommery an dritter Stelle. Auf dem Welt-Schaumweinmarkt hat sich Henkell Freixenet an die erste Position vorgearbeitet. In Deutschland erreicht deren Marke Fürst Metternich ein Flaschenvolumen von 13,6 Mio. Davon wird allerdings nur die in kleiner Auflage für die Gastronomie erzeugte Prestige-Kollektion in der mit Nicolas Feullatte vergleichbaren Flaschengärung erzeugt. Der Löwenanteil von Metternich kommt aus dem Tank.
Um 12 Mio Flaschen Champagner produzieren zu können, muss man Zugriff haben auf viel Rebfläche. Die Union Vinicole Nicolas Feuillatte ist eine Genossenschaft von Genossenschaften: sie vereinigt 5000 Traubenproduzenten aus 82 Genossenschaften mit insgesamt 2.100 Hektar Rebflächen verteilt über die gesamte Champagne. Das entspricht nicht nur rund 6 % der für Champagner zugelassenen Fläche, sondern bedeutet bei den durch das Napoleonische Erbrecht inzwischen meist sehr kleinen Parzellen auch unzählige Besitzer. Das moderne neue Betriebsgebäude in Chouilly, nahe Epernay, besticht durch automatisierte Abläufe und viel Edelstahl und steht in einem deutlichen Gegensatz zu den Kreidekathedralen der klassischen Champagnerhäuser. Die Verarbeitung der Trauben erfolgt in den einzelnen Genossenschaften, in Chouilly lagern die Grund- und Reserveweine.
Der neue Organic stammt von Weinproduzenten, die teilweise seit 2009 biologisch arbeiten. Sie wurden während der dreijährigen Umstellungsphase begleitet und motiviert. Schliesslich war bekannt, das hinterher mit 25-30 % geringeren Erträgen zu rechnen war als beim konventionellen Anbau und am Anfang insbesondere mit den unmittelbaren Nachbarn Konflikte programmiert waren. Im Gegenzug beträgt der Erlös für ein Kilo Trauben gut 30-50 % mehr als die vom Champagnerverband jedes Jahr festgelegten Traubenpreise, die je nach Qualifikation der Lage im letzten Jahr zwischen 6 und 6.80 Euro pro Kilo lagen. Parallel profitieren alle Genossenschaftswinzer von der eigens gegründeten „Champagne Academy” die jeden Winzer und jede Winzerin individuell betreut und Hilfestellung gibt bei Bodenanalysen, Rebschnitt, Zertifizierungsprogrammen, Schulungen administrativen oder juristischen Fragen.
Guillaume Roffiaen (*1975) ist seit 2017 als der verantwortliche Kellermeister bei Nicolas Feuillatt . Seit 2014 im Unternehmen als Leiter des Bereichs Önologie und Qualität, davor 12 Jahre als Önologe und Chef de Caves bei Drappier,e. Er hat den Organic komponiert auf Basis der Lese 2013. Er besteht aus 60 % Pinot noir und 40% Chardonnay in wohlabgestimmter Balance zwischen dem Norden und Süden der Appelation und in der Stilistik ein unverkennbarer Nicolas Feuillatte-Champagner. Nach fünf Jahren Reife wurde der Wein mit 4.3 g/l Zucker dosiert – ist also ein extra brut. „Dosage ist nicht eine Frage des Zuckers, sondern der Grundweine, die wir verwenden. Deshalb lässt sich das nicht festschreiben. 80% der Weine ohne Dosage fehlt eine solche. Deshalb müssen Weine, die ohne Dosage auf den Markt gehen sollen, im Weinberg erarbeitet werden.” sagt Roffiaen und erlaubt einen Blick auf die grossen Holzfuder, in denen seine Likör- d.h. Dosageweine schlummern. „Ich habe dafür 150 Weine zur Verfügung, der älteste ist aus 2009, das sind meine Medizin-Weine.” Dabei kann dann manchmal durchaus ein bisschen Holz durchschimmern, wie zum Beispiel beim Terroir Premier Cru. Der Organic eignet sich gleichermassen als Aperitif wie dank seiner Reife auch als Speisenbegleiter. Er kostet im Weinfachhandel 39 Euro.

Mit dem neuen Organic kommt zu den bisherigen sieben Produktlinien der Marke Nicolas Feullatte eine achte dazu. Diese Vielfalt übersteigt wahrscheinlich das Spektrum, das ein normaler Weintrinker überblicken und memorieren kann. Man denkt bei Nicolas Feullatte darüber nach, das Angebot etwas zu verschlanken und klarer zu strukturieren. Ob das Wort Bio bzw. Organic auf dem Etikett die Verkäufe beflügeln wird, bleibt abzuwarten. Bio+Champagner ist für viele Konsumenten noch nicht die Traumkombination. Im übrigen gibt es zahlreiche hochwertige Weinproduzenten, die ihre Bio-Produktion gar nicht weiter erwähnen, weil sie diese längst für eine Selbstverständlichkeit halten.