Etiketten mit sieben Siegeln
Auf den rund 80 Quadratzentimetern eines Weinetiketts liessen sich komfortabel mehr als die Informationen unterbringen, die entscheidend sind, um einen Wein präzis einzuordnen zu können. Aber so einfach ist die Weinwelt nicht. Nicht in Europa und schon gar nicht weltweit.
Wünschenswert wären der Name des Guts oder Weinmachers, Rebberg/Lage, verwendete Traubensorte(n), Qualitätsbezeichnung, Herkunftsland bzw. Region, Ort der Herstellung, Name des Abfüllers oder Händlers, Jahrgang, Flaschengrösse und Alkohol-Volumenprozente. Ein zweites Label auf der Rückseite könnte Auskunft geben über Besonderheiten der Lage, des Bodens, Charakteristika der verwendeten Trauben, Säuregehalt, Restzucker, über Zeitpunkt und Bedingungen der Ernte, Anzahl der produzierten Flaschen, voraussichtliche Lagerdauer, Serviertemperatur bis hin zu Empfehlungen über ideale Kombinationen mit Gerichten. Wäre und könnte.
Da gibt es auf der einen Seite die Stars, die es sich – einschlägig bestens bekannt – leisten können, auf ihr meist schlichtes Etikett nur das Nötigste draufzuschreiben. Hersteller: Domaine de la Romanée-Conti, Ort(Gebiet): Vosne-Romanée (Côte d’Or), Weinberg/Lage: La Tâche, Flaschennummer von insgesamt abgefüllten Flaschen: No 431 de 17.753 Bouteilles Recoltées, Jahrgang: Année, Produktionsort und Abfüllung: Mise en bouteille en domaine.
Mehr muss zu diesem Wein nicht gesagt werden. Wer die, je nach Jahrgang, auch zweistellige Zahl von Hundertmarkscheinen für eine Flasche auf den Tisch zu legen bereit ist, weiss sehr genau, warum er das tut oder glaubt tun zu müssen. Und wer es nicht weiss, wird spätestens bei der Konfrontation mit dem Preis nach erklärenden Informationen verlangen.
Stars mit den grossen Namen gibt es in jeder Gegend in der hochwertige Weine produziert werden, aber sie bilden hinsichtlich der produzierten Mengen, Qualität, Beständigkeit der Produktion und Nebenmarken jeweils nur die winzige vergoldete Spitze der meist riesigen und selbst für Weinprofis oft schwer zu überschauenden Produktionsberge einer Gegend oder eines Landes.
Bei den unbekannteren Namen, wo die produzierten Mengen grösser, die Qualitäten bescheidener und die Preise günstiger werden, wo präzise Etiketten für klare Informationen sorgen könnten, werden diese mit sinkender Qualität dünner und nichtssagender. Dabei sind es in den wenigsten Fällen regionale und nationale Bestimmungen und Gesetze oder der fehlende Platz auf dem Etikett, der verhindert, dass ein Wein bis auf die Herkunft der Trauben, Lage und Weingut zurückverfolgt werden kann, sondern die je nach Land äusserst unterschiedlichen Kriterien und Faktoren für die Definition von Qualitätswein und deren Auslegungen durch Grossproduzenten und Händler.
Das deutsche und österreichische Qualitätsgefüge orientiert sich in erster Linie an Traubensorten und deren Zuckergehalt, an den Oechsle-Graden: Qualitätswein >Qualitätswein mit Prädikat >Kabinett >Spätlese >Auslese >Beerenauslese >Trockenbeerenauslese >Eiswein. Darunter gibt es noch die sehr gestaltbaren Kategorien Tafelwein und Landwein. Letzterer ist nach dem Weingesetz ein gehobener Tafelwein und soll nach dem Gesetzt im Geschmack „mindestens befriedigend“sein.
Frankreich setzt auf Namen (Lagen/Herkunft) und Qualitätszonen, die Traubensorten erscheinen auf kaum einem Etikett. Auch hier zuunterst die EU-Kategorien >Vin de table und >Vin de pays, gefolgt von den Qualitätsweinen > VdQS: Vin delimité de Qualité supérieure >AOC: Appelation d’origine contrôlée. Diese wird in sich verengenden Qualitätsstufen untergliedert: >Gebiet, z.B. Bourgogne AC >Region, z.B. Côte de Beaunes-Villages, >Gemeinde, z.B. Chassagne-Montrachet, >Premiers Crus (Gemeindenamen plus Lage), z.B. Pommard Les Epenots und schliesslich, einsam ganz oben auf dem Treppchen, grade einem Prozent aller Weine aus dem Burgund vorbehalten, die >Grands Crus. Hier genügt der Name der Lage, z.B. Clos Vougeot. Indes: den Namen dieser berühmten Lage dürfen mehr als 40 Weine auf dem Etikett führen. Wie in andern Weingebieten hat auch hier die Erbteilung zu unzähligen Besitzern geführt, von denen keineswegs alle einen adäquaten Wein erzeugen.
Es wird nicht erstaunen, dass in Bordeaux die Weine anders eingeteilt werden: Bordeaux >Bordeaux supérieur >Cru Bourgeois >Cru Exceptionnel >Grands Crus >Premiers Crus. Und auch wenn es die Sache noch komplizierter macht, muss hier erwähnt werden, dass dieses Klassement nicht gilt für die Bordeaux-Gebiete St. Emilion, Graves und Pomerol und es aus dem Jahr 1855 stammt und in Teilen überholt ist.
In Italien, vor allem im Piemont und in der Toskana, orientiert man sich für Qualitätsweine am Erzeuger, am Weintyp, der durch eine oder mehrere bestimmte Traubensorten definiert ist und an der Lage. Genauso in der Schweiz, in Spanien und der Neuen Wein-Welt. Qualitätsprädikate wie Riserva oder Reserva in Spanien haben nicht mehr die Bedeutung wie noch vor wenigen Jahren.
Conclusio: Qualität ist das Ergebnis von Lage, Traubengut, Weinmacher und Arbeit im Keller. Das Etikett sagt dem, der es lesen kann, viel mehr, als darauf zu sehen ist.