Zukunft des Weins
200 Millionen Hektoliter, rund fünf Prozent mehr als heute, werden die Weintrinker dieser Welt im Jahr 2005 konsumieren. Dieser Prognose stehen die Hochrechnungen für die Weinproduktion gegenüber: Fachleute gehen davon aus, dass in 5 Jahren jährlich über 300 Millionen Hektoliter produziert werden.
Der weitaus größte Teil dieser Mengen kommt aus der neuen Welt, während die Produktion in Europa, Spanien ausgenommen, stagniert oder aufgrund der EU-Beschränkungen sogar abnehmen wird. Die Studie, erhoben im Auftrag der bedeutendsten Weinmesse der Welt, der Vinexpo in Bordeaux, kommt u.a. zum Ergebnis, dass bis 2005 in Deutschland rund 13 Prozent weniger produziert werden wird.
Dafür wird in der Neuen Welt eine beispiellose Anbauschlacht geschlagen: Chile, plus 32 Prozent; Südafrika, plus 30 Prozent (davon 400 Hektar in einer einzigen neuen grossen Plantage); Neuseeland, plus 25 Prozent und sogar China, dessen Weine Europa noch nicht erreicht haben, das aber an der Welt-Rebfläche 2,5 Prozent Anteil hat (bisher fast nur für Tafeltrauben genutzt), soll um 15 Prozent zulegen. In Australien, zwischen Perth und Adelaide, will eine der neuen Weinfabriken, Nundroo Winery Trust mit Sitz in Liechtenstein, eine neue Produktionszone aus dem Boden stampfen, die 20.000 Hektar umfassen soll. Das entspricht einem Fünftel der Deutschen Weinanbaufläche oder einem Drittel der gesamten Wein-Toskana. Ziel der auf 30 Jahre angelegten Strategie: Australiens Weinindustrie soll der weltweit wichtigste und profitabelste Lieferant von Markenwein werden.
Unschwer vorauszusagen, dass Übermengen in der Größenordnung des halben Gesamtkonsums den Weltweinmarkt in eine Weinschwemme, in ein önologisches Notstandsgebiet verwandeln werden. Kleine Produktionen werden weder im Kampf um die Regalplätze noch im Preis eine Chance haben gegen diese ausschließlich maschinell eingebrachten, fabrikmäßig erzeugten Konsumweine die in riesigen Mengen wie internationale Markenartikel vertrieben und beworben werden. Durch einen überproportional großen Anteil an Arbeit im Keller lassen sie sich zudem relativ mühelos auf den internationalen Geschmack im unteren und mittleren Preissegment einstellen (ansprechend, fruchtig, leicht, harmonisch-rund, süffig und ohne spürbare Säure und Tannine). Einen Vorgeschmack liefert Amerika. Dort wird bereits die Hälfte des Marktes von drei Unternehmen kontrolliert: The Wine Group, Constellation und Gallo.
Im gehobenen Preissegment und ganz an der Spitze dürfte die Entwicklung jedoch anders verlaufen. Weil die heutigen Super-Stars und Kult-Weine aufgrund der kleinen Produktionsmengen und dramatisch ansteigender Nachfrage in Asien und Osteuropa für Käufer ohne Beziehungen schon in absehbarer Zeit weder erhältlich noch bezahlbar sein werden, wird die Nachfrage dafür sorgen, dass dieses Segment erweitert und mit Hilfe von Medien und Handel auch etabliert wird: Erstklassige Weine mit ausgeprägter lokaler oder nationaler Identität (Traubensorten, Terroir, Ausbau), Spezialitäten mit unverwechselbarem Charakter und einem Stil, der sich vom Mainstream und internationalen Trend deutlich absetzt.
Oder anders: Zwar werden auch wir treulos durch den globalen Weinberg flanieren und uns trendgerecht mit internationalen Marken-(Rot)-Weinen aus Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc, Syrah und Merlot oder eben weissem Chardonnay eindecken, gleichzeitig aber einen starken Drang des „Nachhausekommens“ verspüren und Weine aus autochthonen (einheimischen) Rebsorten, mit individuellem Profil und einem Bezug zu Terroir und Tradition vermehrt zu schätzen wissen.
Die globale Weinökonomie führt nicht nur zu einer Uniformität und Geschmacksangleichung, sie beschert uns auch Qualitätsteigerungen, neue Techniken und Methoden. Und sie macht neugierig, erlaubt Vergleiche, lässt Unterschiede herausarbeiten und schafft neue spezifische Interessen.
Soll es uns doch recht sein, wenn sich als Antwort auf allmächtige internationale aber eben durchschnittliche Marken das Segment der erstklassigen, qualitätsorientierten, handwerklichen Produkte vergrößert. Wir freuen uns doch auch über die breite Palette von 300 Käsesorten, über die zahlreichen Malt-Whiskys und Biere. Klar jedoch ist: Qualität und kleinere Mengen, Handarbeit am Steilhang, ein wechselhaftes Klima, das nicht täglich volle Sonne garantiert, eine monatelange Pflege und Reifung im Barrique haben ihren Preis, der in Relation zu den internationalen Markenprodukten hoch erscheinen mag. Dafür ist das Holz elegant eingebunden und der Wein bestimmt langlebiger als ein tiefgelber, butteriger und hochalkoholischer Neue-Welt-Chardonnay, der sein süßliches Vanilleparfum einer handvoll Eichenholzchips verdankt, die ihm bei seiner Gärung Gesellschaft geleistet haben. Völlig legal übrigens.
Leider färbt dieser Drang zur Überwürzung und marmeladig-fleischigen Konzentration auf die Geruchs- und Geschmacksnerven von Weinkritikern und -sammlern ab. Finessenreiche, elegante und harmonische Weine aus der alten Welt, mit denen sich wunderbar tafeln läßt, tun sich auf Proben gegen die neuen „Blockbuster“ schwer. Eine 1999 in San Francisco durchgeführte seriöse Blindprobe zum „Bordeaux-Style“ illustriert, worum es geht: Von 47 blind verkosteten Weinen des Jahrgangs 95, davon 22 renommierte Bordeaux incl. der fünf 1er Cru classés (Lafite, Latour, Margaux, Haut-Brion, Mouton-Rothschild) und Cheval Blanc und Pétrus, sowie den italienischen Stars Sassicaia und Ornellaia, landete nicht einer auf den ersten 20 Plätzen. Die wurden ausnahmslos von Weinen aus Kalifornien und Washington besetzt. Die 50 Juroren waren Amerikaner, alles führende Weinkritiker, Winemaker und Sammler.