Vita

Christian Wenger (Jahrgang 47) lebt in der Alta Langa im Piemont, wo er eigenen Wein anbaut und in Hamburg. Er schrieb viele Jahre über Wein für die Financial Times, Stern, Feinschmecker, Alles über Wein u.a. Parallel betrieb er das W+P Büro für Kommunikation, Hamburg, spezialisiert auf ganzheitliche Corporate Identity, Strategien, Konzepte, Projekte für Unternehmen, Medien und Märkte. U. a. für Schweizer Rück, Deutsche Börse, Fraunhofer Gesellschaft. Davor Studium der Germanistik und Soziologie, Redakteur bei DIE ZEIT und ZEITMagazin, Vorstandsassistent und Objektmanager bei Gruner+Jahr, Verlagsleiter und Geschäftsführer bei WIRTSCHAFTSWOCHE, Düssseldorf, MANAGER MAGAZIN und DER SPIEGEL, Hamburg.

Christian Wenger, Studies of Literature and Sociology, is Wine Writer for „Stern”, „Financial Times”, „Süddeutsche Zeitung”,”Der Feinschmecker” and „winedine.de” Member of FIJEV International Federation of Wine and Spirits Writers, Slow Food. Christian lives in Piemonte and Hamburg and loves Nebbiolo and all good sparklings.

WINEDINE

Christian Wenger über Weine, Weinproduzenten, Restaurants & Hotels und Kulinarisches

Marchesi Frescobaldi: Gekonnte Selbstdarstellung

Marchesi Frescobaldi:
Gekonnte Selbstdarstellung
Ein guter Teil des Weinbaus in der Toskana wird seit mehreren Jahrhunderten von adligen Familien geprägt, die neben Wein auf grossen Flächen auch Getreide, Oliven und andere Produkte anbauen. Allerdings sind nach dem Ende der Mezzadria, der sogenannten Halbpacht in 1962, von den einstigen Grossgrundbesitzern nur wenige übriggeblieben. Sie heissen Antinori, Frescobaldi, Gondi, Mazzei, Ricasoli. Heute haben in der Toskana drei private Weingüter die größten Weinflächen: Antinori unter dem Vorsitz von Albiera Antinori, der ältesten Tochter von Piero Antinori, besitzt 3.000 Hektar Weinberge; Die venezianische Gruppe Zonin unter der Leitung von Pietro Mattioli verfügt über 1700 Hektar und die Frescobaldis unter dem Vorsitz von Lamberto Frescobaldi besitzen 1572 Hektar, fast 100 mehr als im Vorjahr. In der Rangliste der größten Privatgüter verfügt nur ein weiteres Weingut über mehr als tausend Hektar: Banfi bei Montalcino, seit vielen Jahren im Besitz der italo-amerikanischen Familie Mariani, gebietet über 1027 Hektar. Die Hingabe an den Weinbau und die Landwirtschaft im Allgemeinen ist schon seit jeher charakteristisch für die Familie Frescobaldi, die seit dem frühen vierzehnten Jahrhundert in der Toskana Wein herstellt. Zu den Vorfahren der Familie Frescobaldi zählen Literaten, Forscher, Musiker, Bankiers, Bischöfe und Staatsmänner. Das Familienarchiv hütet zahlreiche antike Dokumente, worunter sich Handelsverträge mit vielen europäischen Höfen befinden, die bis auf das XIII. Jahrhundert zurückgehen. Im XV. und XVI. Jahrhundert belieferten sie den englischen Hof mit Wein, sowie viele andere europäische Länder, darunter auch den Vatikan. In der Weintradition werden sie allenfalls noch übertroffen von der Familie Carregia Malabaila in Canale im Piemont, die nachgewiesen seit 1362 Wein anbaut und deren Tochter Lucrezia derzeit das Weingut in der 65. Generation führt.

Heute stellen die Frescobaldis auf folgenden neun Weingütern höchst unterschiedliche Weine her: Castello Pomino (Pomino), Castello Nipozzano (Nipozzano), Tenuta Perano (Gaiole in Chianti), Tenuta Castiglioni (Montespertoli), Tenuta CastelGiocondo (Montalcino), Tenuta Ammiraglia (Magliano in Toscana), Remole (Sieci), Tenuta Calimaia (Montepulciano), und Gorgona (Insel gegenüber Livorno). Alle liegen in unterschiedlichen Zonen der Toskana, die sich für die Erzeugung von Spitzenweinen (DOC, DOCG und IGT) eignen, und die sich in Bezug auf Anbaubedingungen und Geschichte unterscheiden. Hinzu kommen die Weingüter Ornellaia und Masseto in Bolgheri, die Tenuta Luce in Montalcino sowie Attems im Collio (Friaul). Jedes Weingut wird selbstständig geführt und hat ein eigenes Team, das verantwortlich für Weinbau und Keller zeichnet. Ergänzt durch die beiden Ristorante Frescobaldi in Florenz und London. In den vergangenen Tagen hat sich Frescobaldi an einem weiteren Weingut in Oregon in den Vereinigten Staaten beteiligt: Domaine Roy & fils, im Willamette Valley.

Dieses Angebot an schönen und gepflegten Weingütern nutzt Frescobaldi inzwischen geschickt zur Selbstdarstellung und Imagepflege für Weinfreunde, Kunden, Gäste, Geschäftspartner und Journalisten. Eine mehrköpfige Kommunikationsabteilung im Hauptsitz in Sieci bei Pontassieve kümmert sich um die gesamte Hospitality. Auf vorherige Anmeldung können die Weingüter besucht, eine geführte Weintour gemacht und Weine degustiert werden.

Auf einigen Gütern können auch Übernachtungen gebucht werden – so hält die Tenuta CastelCiocondo, im Village Castel Giocondo neuerdings luxuriös-gepflegte Gästezimmer bereit, von denen aus sich die zum Teil immer noch wilde Landschaft im Südwesten von Montalcino und die nahegelegene Tenuta Luce erkunden lassen. Ein Wellnessbereich und eine Weinauswahl runden das Angebot ab. Ein ausgiebiges Frühstück steht in der Foresteria im Nebengebäude für die Gäste der Tenuta bereit, für einen Restaurantbesuch muss man sich allerdings ins wenige Kilometer entfernte Montalcino begeben. Die namengebende Burg Castelgiocondo steht oberhalb der Tenuta Luce, sie wurde um 1100 zur Verteidigung der von der Küste nach Siena führenden Straße errichtet. Die Tenuta di Castelgiocondo war eines der vier Weingüter, auf denen man 1800 erstmals begann, den Brunello di Montalcino zu erzeugen. Das Castello ist auch der Sitz des neugestalteten Projekts Artisti per Frescobaldi. Es knüpft an die lange Tradition des Mäzenatentums der Familie an, die im Laufe der Jahrhunderte viele berühmte Künstler unterstützt hat. Die Sammlung kann nach Vereinbarung über www.artistiperfrescobaldi.it besichtigt werden.

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AltaLanga – Der Schaumwein Metodo classico des Piemont

AltaLanga
Der Schaumwein Metodo classico des Piemont
Die 140 Weine der inzwischen 60 Alta Langa-Produzenten hinterliessen bei der Prima dell’Alta Langa 2023 in der Reggia di Venaria bei Turin trotz majestätischer Kulisse einen zwiespältigen Eindruck. Da waren zwar ein knappes Dutzend Weine, die zu überzeugen vermochten, bei vielen andern dominierte ein mehr oder weniger intensiver Bitterton im Abgang, der auf Verarbeitungsfehler hindeutete, auf Trockenstress der Trauben oder eine Mischung aus beiden. Oder die Weine waren rustikal, mit wenig Spannung und/oder belanglos. Das ist schade, weil gerade eine aufstrebende Marke wie Alta Langa muss darauf achten sollte, dass die Weine das Gebiet, die Seele des ganz speziellen und typischen Territorriums widerspiegeln und nicht versucht wird, gerade aktuelle Moden nachzuahmen oder zu kopieren.

Viele der 60 Produzenten, die Mitglied im Consorzium sind, präsentierten dieses Jahr zum ersten mal ihre Weine. Und weil Bollicine derzeit sehr im Trend sind, werden die Weinbauern, die ihre Rot- und Weissweinweinkollektionen auch um einen Sprudel erweitern möchten, immer zahlreicher. So werden im nächsten Jahr trotz derzeitigen Absatzschwierigkeiten weitere Produzenten ihre ersten Spumante nach traditioneller Art vorstellen. 

Die Veranstaltung im Mai 2023 verdeutlichte Aspekte und Probleme der Alta Langa-Produktion und warf einige Fragen und Thesen auf: 

1. Die Herstellung eines hochwertigen Alta Langa fällt auch keinem erfolgreichen Piemonteser (Rot)-Weinmacher einfach in den Schoss. 

Bevor Erstlinge und Fingerübungen der Öffentlichkeit präsentiert werden dürfen, könnte eine Degustationsrunde über eine Zulassung entscheiden.

2. Warum viele Erstlinge sich ausgerechnet an „Dosage Zéro“ oder „non dosé“ versuchen, ist schwer zu verstehen. Spätestens von der Champagne weiss man, dass dies die Königsdisziplin ist, bei der Traubenqualität und Verarbeitung hundertprozentig stimmen müssen.

3. Wenn eine Ernte so problematische Ergebnisse zeigt, verstärkt sich die Frage, warum nicht mit Reserveweinen aus andern Jahrgängen gearbeitet werden darf, wenn es der Produktqualität dienen würde. Evtl. neben dem Jahrgang als eine weitere Alta Langa-Kategorie.

4. Nebbiolo und andere nichtaromatische Weine aus der Zone haben in einem charakteristischen und typischen Alta Langa (Pinot noir und Chardonnay) nichts zu suchen. Die erlaubten 10% sollten gestrichen werden.

5. Der Name Alta Langa wird häufig von Konsumenten, welche die Langa mit ihren berühmten Rotweinen kennen und besuchen, missverstanden bzw. gleichgesetzt mit einem Gebiet das höher liegt als die Langa. Schwer zu vermitteln, dass Alta Langa sogar aus Alba, Grinzane Cavour, Calamandrana oder gar aus Ovada kommen dürfen.

6. Warum das zuständige Consorzium den Sitz ausserhalb der Alta Langa-Zone in Asti hat, ist ein weiterer Hinweis auf die verwirrende Nicht-Kongruenz von Markenname und geografischer Bezeichnung.

7. Das Consorzium muss entschieden dafür sorgen, dass Alta Langa in den Weinguides als eigene Kategorie aufgeführt werden.

Das Consorzium Alta Langa wurde 2001 von einer Reihe von Spumante-Produzenten gegründet. Vorher hatte man auf die gesetzliche italienische Bezeichnung Talento vertraut, die für flaschenvergorene Schaumweine aus DOC-Trauben (Pinot nero, Pinot blanc, Chardonnay) und mindestens 15 monatiger Lagerung auf der Hefe erfunden worden war. Dieser Name konnte sich jedoch nie durchsetzen.

Die Gründung wurde in in der Alta Langa, in Bossolasco, auf gut 800 Metern ü.M., vollzogen. Obwohl damals die geografische Alta Langa seit Jahren klar definiert war (39 Orte, alle definiert durch ihre Meereshöhe), okkupierte man diesen Namen für insgesamt 147 Orte, in denen Alta Langa hergestellt werden darf. Nur 38 Orte sind identisch mit der geografischen Alta Langa. Das erzeugt mehr Verwirrung als Klarheit. 

Kein guter Start für eine neue Marke. Darüberhinaus wollte man einem rigorosen Statut die die anderen Flaschengärer wie die Champagne, Franciacorta, Trento und andere rechts überholen und setzte u.a. die höchste Flaschen-Lagerzeit auf der Hefe durch, 30 Monate. Auch dürfen nur Weine aus einem Jahrgang, der stets genannt werden muss, abgefüllt werden. Dafür war man bei den vorgeschriebenen Rebsorten etwas grosszügiger: bis 10% dürfen andere im Piemont heimischen, nicht aromatischen Rebsorten zugemischt werden. Ganz beiläufig wird etwas weiter unten im Disziplinar auch die Verwendung älterer Weine und umgekehrt zugestanden. (Schleierhaft wie das bei bereits abgefüllten Flaschen technisch gehen soll ?), allerdings nur bis zu 15%. 

Alta Langa erhielt 2002 die DOC und in 2011 (u.a. für den damals aktuellen Jahrgang 2008) den Status DOCG. 

Im Mai 2023 vereinigte das Consorzium 55 Hersteller mit insgesamt 115 Etiketten. Das definierte Alta Langa-Produktionsgebiet umfasst 377 ha, auf dem vom Jahrgang 2022 gut 3 Millionen Flaschen erzeugt wurden, 67% mehr als in 2021. 90% der Flaschen gehen auf den inländischen Markt, 10% ins Ausland. Die Pläne des Consorziums sehen in den nächsten Jahren eine Ausweitung der Fläche um weitere 220 ha vor, das entspräche dann rechnerisch einer Produktion von insgesamt 4,75 Millionen Flaschen.

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Weissweine im Piemont: Timorasso

Weissweine im Piemont: Timorasso
Weinliebhaber kennen und schätzen das Piemont hauptsächlich für die Rotweine aus Barolo und Barbaresco. Es gibt zwar diverse Weissweine, die ein klassisches Piemonteser Menü bis zum Fleischgang begleiten können. Arneis, Favorita und Cortese (Gavi) sind zwar meistens trocken, bringen jedoch von Haus aus wenig Säure und Rasse mit. Auch der vor einigen Jahren wiederbelebte Nas-Cetta bringt nicht die gewünschte Rasse ins Glas, häufig tendiert er zu fülliger Süsse und hohen Alkoholwerten. Neben diesen authochtonen Reben wurden auch internationale Weissweinsorten angebaut: Chardonnay, Pinot blanc, Pinot grigio, Riesling, Sauvignon blanc. Daraus gibt es spannende Ergebnisse, allerdings zu höheren Preisen als die einheimischen Sorten: Z.B. die Chardonnay Gaja & ReyLidia von La Spinetta, oder Bussiador von Aldo Conterno. Einzig der Sauvignon blanc von Parusso, der als Langhe bianco etikettiert ist, liegt preislich mit den einheimischen Weissen vergleichbar.

Mitte März präsentierte das Consorzium Vini Colli Tortonesi unter dem Titel Derthona 2.0 die neuesten Weine aus der autochthonen Rebsorte Timorasso, die in den Hügeln und sechs Tälern südöstlich der Stadt Tortona wächst. Derthona ist der alte römische Name für Tortona. Das Gebiet misst etwa 50 km in nord-süd Richtung und knapp 25 km in west-östlicher und wird begrenzt von Ligurien, der Emilia Romagna und der Lombardei. Die Böden bestehen hauptsächlich aus Marne Sant˙Agatha Fossili wie die Hügel der Langhe: Sedimentgestein aus dem Oligozän und Miozän, das aus den Kollisionen der europäischen und afrikanischen Platten stammt, die beim Zurückweichen ein Substrat aus Ton, Kalkmergel, blauem Tonmergel und Schwefelgips abgelagert haben.Timorasso ist seit dem 15. Jahrhundert bekannt und wurde noch im 19. Jahrhundert im Gebiet von Novara bis Tortona sowie bis nach Voghera auf 51 Hektar angebaut, aber in der Folge zugunsten fruchtbarerer Sorten aufgegeben. 1980 wurden gerade noch 2 ha registriert. 1987 wurde Timorasso vom Winzer Walter Massa aus Monleale wiederbelebt. Seine Begeisterung für die Sorte steckte etliche Winzer an und lockte erfolgreiche Produzenten aus den Langhe an, die nach einem neuen, spannenderen Weisswein suchten.

53 der im Consorzium vereinigten 70 Timorasso-Produzenten stellten im März 2023 ihre neuen Weine vor. Weil das neue Disziplinar für die zukünftigen Namensregelungen noch in Rom der Genehmigung harrt, sind die Bezeichnungen der Weine vorläufig. Geplant sind unter der gemeinsamen DOC Colli Tortonesi drei Abstufungen der Sorte Timorasso: Piccolo Derthona, Derthona und Derthona Riserva. Die Erntemenge liegt bei maximal 75 quintali, bzw. Zentner pro Hektar bei einer Stockdichte von 4000 Pflanzen. Timorasso ist spätreifend, wuchsstark und von mässiger Ertragskraft. Charakteristisch für den Wein sind eine kräftige Säure und ein hoher Alkoholgehalt, der leicht bei 15.5 Volumenprozent liegen kann – auch schon mal bei gefühlten 16 oder mehr. In letzteren Fällen wird m.E. das Weinprofil überdeckt von einer Süsse, für die der hohe Alkoholgehalt verantwortlich ist, dafür hat Timorasso eine gute Altersfähigkeit.

In den 46 Gemeinden, welche die Colli Tortonesi ausmachen, stehen aktuell 1257 Hektar unter Wein, darunter 223 ha Timorasso oder rund 1 Mio Flaschen. Angestrebt werden 1250 ha und rund 3 Mio. Flaschen. Auch Barbera, Croatina, Cortese und Dolcetto werden in den Hügeln angebaut, nebst Kirschen und gelben Pfirsichen, deren eingemachte Früchte unter dem Namen Pesche di Volpedo eine Delikatesse sind. Auch für Trüffel hat die Gegend einen guten Ruf: Der jährliche Trüffelmarkt in San Sebastiano Curone ist so berühmt wie die Edelsalami Nobile, für die nur die feinsten Stücke der Schweine verwendet werden.

Das Engagement namhafter Barolo und Barbaresco-Produzenten für den Timorasso ist in mehrerlei Hinsicht positiv: Zum einen erfährt das bislang unbekannteste Weingebiet des Piemonts internationale Beachtung, zum andern wird der Timorasso als Teil des Angebots renommierter Produzenten aufgewertet. Im Laufe der letzten Jahre haben Borgogno, La Spinetta, Vietti, Vite Colte, Roagna, Voerzio Martini, und weitere, die noch nicht mit ihrem ersten Wein auf dem Markt sind, Anbauflächen oder bestehenden Rebberge erworben. Die Begeisterung für die Rebsorte geht sogar noch weiter: Unterhalb von Serravalle Langhe hat Ferdinando Principiano einen Weinberg auf 750 m. ü. M. angelegt, auf dem ausschliesslich Timorasso gedeiht. Weil die Traubensorte im Disziplinar der Langa nicht vorgesehen ist, nennt er ihn Langhe Bianco.

Leser aus Deutschland finden auf der Webseite Timorasso.de, betrieben von Dr. Conrad Mattern, derzeit 178 Timorassos zahlreicher Produzenten verschiedenster Jahrgänge. Mattern ist vor einigen Jahren dem Timorasso verfallen und dürfte inzwischen einer der besten Kenner und Botschafter sein. In diesem Jahr wurde Enrico Crippa, Chef des Drei-Sterne-Restaurants Duomo in Alba als Ambassadore des Timorasso ausgezeichnet.

Meine Bewertungen der Produzenten sind eingeflossen in meine jährlich aktualisierte Zusammmenstellung der Besten Produzenten, Piemont.

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Prachtsstück

der Bremer Weinhändler Heiner Lobenberg fiel in den vergangenen 30 Jahren immer mal wieder auf: Jährlich präsentierte er den umfangreichsten Weinkatalog, versammelte fast ausnahmslos alle wichtigen Produzenten in seinem Angebot über die er Texte schrieb, die sich vom üblichen Preislisten-Geschwafel auf angenehme Weise abhoben. Der Ordnung halber sei erwähnt, dass es auch sehr lesenswerte Preislisten z.B. aus Nürnberg oder aus München gab/gibt.
 
Dass Lobenberg, zwei Jahre nachdem er die Geschäfte formal an seinen Sohn Luca übergeben hatte, der vor allem die Digitalisierung vorantreiben sollte, nun einen gedruckten Katalog vorlegt, der alles sprengt, was bisher an Weinkatalogen erschienen ist, mag erstaunen: 1448 Seiten, 4.200 Gramm über Regionen, Produzenten und ihre Weine. Das Schwergewicht versammelt wie ein Who is Who rund 800 Winzer, die er alle mindestens einmal besucht und vor Ort gesprochen hat. Das ist beeindruckend und gleichzeitig gemütliche Lektüre für Stammkunden (nicht nur für lange Kaminabende). Diesen wurde das gute Stück zugeschickt, immerhin pro Kunde ein Aufwand von gut 20 Euro für Druck und Versand. Interessenten sollten anfragen bei gute-weine.de. Vielleicht ist noch über ein Exemplar zu reden.
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Grossproduzent mit Highlights

Das Weinhaus Ruffino wurde 1877 in Pontassieve, im Gebiet des heutigen Chianti Rufina, von den Cousins Leopoldo und Illario Ruffino gegründet. Sie waren erfolgreich und verkauften ihre Weine an eine illustre Kundschaft, darunter der Herzog von Aosta und Guiseppe Verdi. Sie lieferten angeblich auch den ersten Chianti in der berühmt-berüchtigten bastumwobenen Fiasko-Flasche nach Amerika. 1947 brachten sie erstmals den Riserva Ducale d’Oro auf den Markt, der heute nur in exzellenten Jahren als Gran Selezione gemacht wird. Drei Jahre später folgte ein Rosatello in auffälligen tropfenförmigen Flaschen, der offensichtlich ideal dem damaligen Zeitgeist und Lifestyle entsprach. 1974 verabschiedete man sich von der Bastflasche und verkaufte fortan alle Chiantis in einer neuen Florentiner-Flasche. 2010 kam mit Modus IGT der erste Supertuscan auf den Markt, bestehend aus Sangiovese, Merlot und Cabernet Sauvignon. Gerade vorgestellt wurde der 2018er, von dem es 14.000 Flaschen geben wird. Ein Jahr später Alauda IGT, der mit einer Komposition aus Cabernet Franc, Merlot und Colorino und einer doppelt so langen Barrique-Ausbauzeit etwas schwergewichtiger und zum dreifachen Preis daherkommt.

Mangels Nachkommen der Ruffinos übernahm die Familie Folonari aus Brescia 1913 das aus mehreren Weingütern mit über 700 ha bestehende Unternehmen. Die eine Zweig der Familie verkaufte 2011 an den amerikanischen Getränkeriesen Constellation Brands 40%. 2012 erwarb dieser die restlichen 60% mit den sechs Weingütern und Marken Poggio Casciano, Montemasso, Santedame, Gretole, Greppone Mazzi and La Solatia und seit 2017 auch zwei Weingüter im Prosecco-Gebiet. Der andere Familienzweig mit Ambrogio und Sohn Giovanni an der Spitze sicherte sich die Weingüter Tenuta del Cabreo (Greve), Campo al Mare (Bolgheri), Tenuta La Fuga (Montalcino), Tenuta di Nozzole (Greve), Torcalvano (Montepulciano) und Vigne a Porrona in Cinigiano (Maremma) mit denen sie heute noch erfolgreich aktiv sind: Die ursprünglich 230 ha sind inzwischen angewachsen auf 350. Neffe Guido Folonari baute 2001 sein eigenes Weinunternehmen auf, das auf die drei B’s setzte: Bolgheri (Donna Olimpia), Brunello (Tenuta San Guido) und Barolo (Tenuta Illuminata). Die Tenuta San Guido wurde allerdings 2016 an ColleMassari verkauft.

Ruffino produziert derzeit 40 Weinmarken auf acht Weingütern mit 612 Hektaren und einigen zugekauften Trauben insgesamt 26 Millionen Flaschen Wein, etwas Grappa, Vermouth und Olivenöl. Das führt zu einem Umsatz von 106 Mio. Euro, der von 290 Mitarbeitern erwirtschaftet wird. Der durchschnittliche Erlös von knapp vier Euro pro verkaufter Flasche deutet darauf hin, dass der grössere Teil der 40 Weinmarken auf das einfachere Käufersegment abzielt. Auf Rückfrage bestätigt Ruffino, dass die unter „Icons” zusammengefassten sechs Gutsabfüllungen und Marken (Riserva Ducale, Riserva Ducale Oro, Romitorio di Santedame, Modus, Alauda, Greppone Mazzi) insgesamt nur 9% des Gesamtumsatzes ausmachen, der zu 58% von den Prosecco-Marken im Veneto dominiert wird. An den 26 Mio. Flaschen dürften die sechs Icons nur im knapp einstelligen Prozentbereich beteiligt sein. Die gesamte Weinproduktion wird geleitet und geführt von Gabriele Tacconi, der dem Unternehmen schon zu Folonaris Zeiten gedient hat und mittlerweile 26 Jahre angehört. Täglich ist er auf Tour in sämtlichen Weingütern und verfolgt die Entwicklung der Weine.

Nach amerikanischem Vorbild pflegt Ruffino eine betonte Kunden- und Gastfreundschaft: Freundlicher Empfang, begleitende Weinambassadoren, eigene Restaurants und stilvolles Gästehaus auf der Tenuta Montemasso nahe bei Florenz. Auf 174 Seiten des aktuellen Sustainability-Reports wird ausführlich über die zahlreichen Aktivitäten und Vorkehrungen im Sinne der Nachhaltigkeit, Personalförderung, Energieverbrauch etc. berichtet. Ruffino gibt sich mustergültig.

Liegt Ruffino mit einem Umsatz von 106 Mio. Euro bei den italienischen Weinunternehmen auf einem deutlichen zweistelligen Rangplatz, liegt Constellation Brands mit einem Weinumsatz von 2.3 Milliarden auf Platz zwei der umsatzstärksten Weinunternehmen der Welt. Unangefochten an der Spitze die Ernest&Julio Gallo Winery mit 4.5 Milliarden. Durch den Aufkauf des schwächelnden Imperiums von Robert Mondavi kamen sie 2004 auch zu Woodbridge, Robert Monavi und einem 50% Anteil an Opus One. 2017 aquirierten sie Schrader Cellars mit dem berühmten To Kalon-Cabernet. Zahlreiche Kellereien, Whiskymarken und andere Getränke gehören mittlerweile zum Portfolio. Die neueste Meldung berichtet von einer Markenzulassungsvereinbarung mit Coca Cola für die Produktion von Fresca Mixed, einer Linie mit trinkfertigen Cocktails auf Spirituosenbasis ”mit vollem Geschmack„. Constellation soll die Getränke herstellen, vermarkten und vertreiben. Bleibt abzuwarten, ob die italienische Tochter hier auch tätig werden muss.

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Grüner Daumen

da mittlerweile über 15% der Weinberge in der Champagne biologisch bearbeitet werden (davon bisher 3 % bio zertifiziert), ist es eigentlich nicht weiter erwähnenswert, wenn weitere dazukommen. Immerhin produzieren etliche Marken schon seit längerer Zeit biologisch hergestellte Champagner: z.B. Beaufort, Drappier, Duval-Leroy, Fleury, Lanson. Wenn sich aber das in Frankreich grösste Champagner-Haus dazu entschliesst, die erste Organic-Cuvée auf den Markt zu bringen, darf das hier kommentiert werden.
Nicolas Feuillatte liegt mit jährlich 12 Mio Flaschen auf dem französischen Markt an der Spitze, weltweit nach Moet & Chandon und Vranken-Pommery an dritter Stelle. Auf dem Welt-Schaumweinmarkt hat sich Henkell Freixenet an die erste Position vorgearbeitet. In Deutschland erreicht deren Marke Fürst Metternich ein Flaschenvolumen von 13,6 Mio. Davon wird allerdings nur die in kleiner Auflage für die Gastronomie erzeugte Prestige-Kollektion in der mit Nicolas Feullatte vergleichbaren Flaschengärung erzeugt. Der Löwenanteil von Metternich kommt aus dem Tank.
Um 12 Mio Flaschen Champagner produzieren zu können, muss man Zugriff haben auf viel Rebfläche. Die Union Vinicole Nicolas Feuillatte ist eine Genossenschaft von Genossenschaften: sie vereinigt 5000 Traubenproduzenten aus 82 Genossenschaften mit insgesamt 2.100 Hektar Rebflächen verteilt über die gesamte Champagne. Das entspricht nicht nur rund 6 % der für Champagner zugelassenen Fläche, sondern bedeutet bei den durch das Napoleonische Erbrecht inzwischen meist sehr kleinen Parzellen auch unzählige Besitzer. Das moderne neue Betriebsgebäude in Chouilly, nahe Epernay, besticht durch automatisierte Abläufe und viel Edelstahl und steht in einem deutlichen Gegensatz zu den Kreidekathedralen der klassischen Champagnerhäuser. Die Verarbeitung der Trauben erfolgt in den einzelnen Genossenschaften, in Chouilly lagern die Grund- und Reserveweine.
Der neue Organic stammt von Weinproduzenten, die teilweise seit 2009 biologisch arbeiten. Sie wurden während der dreijährigen Umstellungsphase begleitet und motiviert. Schliesslich war bekannt, das hinterher mit 25-30 % geringeren Erträgen zu rechnen war als beim konventionellen Anbau und am Anfang insbesondere mit den unmittelbaren Nachbarn Konflikte programmiert waren. Im Gegenzug beträgt der Erlös für ein Kilo Trauben gut 30-50 % mehr als die vom Champagnerverband jedes Jahr festgelegten Traubenpreise, die je nach Qualifikation der Lage im letzten Jahr zwischen 6 und 6.80 Euro pro Kilo lagen. Parallel profitieren alle Genossenschaftswinzer von der eigens gegründeten „Champagne Academy” die jeden Winzer und jede Winzerin individuell betreut und Hilfestellung gibt bei Bodenanalysen, Rebschnitt, Zertifizierungsprogrammen, Schulungen administrativen oder juristischen Fragen.
Guillaume Roffiaen (*1975) ist seit 2017 als der verantwortliche Kellermeister bei Nicolas Feuillatt . Seit 2014 im Unternehmen als Leiter des Bereichs Önologie und Qualität, davor 12 Jahre als Önologe und Chef de Caves bei Drappier,e. Er hat den Organic komponiert auf Basis der Lese 2013. Er besteht aus 60 % Pinot noir und 40% Chardonnay in wohlabgestimmter Balance zwischen dem Norden und Süden der Appelation und in der Stilistik ein unverkennbarer Nicolas Feuillatte-Champagner. Nach fünf Jahren Reife wurde der Wein mit 4.3 g/l Zucker dosiert – ist also ein extra brut. „Dosage ist nicht eine Frage des Zuckers, sondern der Grundweine, die wir verwenden. Deshalb lässt sich das nicht festschreiben. 80% der Weine ohne Dosage fehlt eine solche. Deshalb müssen Weine, die ohne Dosage auf den Markt gehen sollen, im Weinberg erarbeitet werden.” sagt Roffiaen und erlaubt einen Blick auf die grossen Holzfuder, in denen seine Likör- d.h. Dosageweine schlummern. „Ich habe dafür 150 Weine zur Verfügung, der älteste ist aus 2009, das sind meine Medizin-Weine.” Dabei kann dann manchmal durchaus ein bisschen Holz durchschimmern, wie zum Beispiel beim Terroir Premier Cru. Der Organic eignet sich gleichermassen als Aperitif wie dank seiner Reife auch als Speisenbegleiter. Er kostet im Weinfachhandel 39 Euro.

Mit dem neuen Organic kommt zu den bisherigen sieben Produktlinien der Marke Nicolas Feullatte eine achte dazu. Diese Vielfalt übersteigt wahrscheinlich das Spektrum, das ein normaler Weintrinker überblicken und memorieren kann. Man denkt bei Nicolas Feullatte darüber nach, das Angebot etwas zu verschlanken und klarer zu strukturieren. Ob das Wort Bio bzw. Organic auf dem Etikett die Verkäufe beflügeln wird, bleibt abzuwarten. Bio+Champagner ist für viele Konsumenten noch nicht die Traumkombination. Im übrigen gibt es zahlreiche hochwertige Weinproduzenten, die ihre Bio-Produktion gar nicht weiter erwähnen, weil sie diese längst für eine Selbstverständlichkeit halten.

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Auch der Weinschreiber

lernt gerne dazu und erweitert seinen Horizont. Kürzlich schrieb eine Champagner- und Weinhändlerin einige muntere Zeilen über einen Champagner, den sie im Sortiment führt. Informativ, präzis und ganz ohne die sonst häufig begleitenden Lobhudeleien. Im Paket drei Flaschen eines Champagners, den ich noch nie getrunken, ja von dem ich bisher noch nicht mal gehört oder gelesen hatte, obwohl ich mich beim Champagner ganz leidlich auskenne. Auch die einschlägige Literatur half nicht entscheidend weiter. Das 1923 in der südlichen Champagne gegründete Weingut ist bis heute im Familienbesitz und verarbeitet nur Trauben aus eigenen Lagen, gearbeitet wird klassisch und äusserst qualitätsbewußt. Ich probierte die erste Flasche und war positiv überrascht. Auch die zweite Flasche und dritte Flaschen überzeugten. Die Grande Cuvée Rosé, zu 90 % aus Pinot noir, abgerundet mit etwas rot ausgebautem Wein, schmeckte ausgesprochen delikat. Ich suchte nach den Preisen. In den Unterlagen war nichts, auch auf der Website kam ich nicht weiter. Gerne hätte ich geschrieben, dass gute Qualität auch zu vernünftigen Preisen erhältlich ist. Ob das so ist, werden die Leser dieser Kolumne erfahren, wenn sie einige Flaschen bestellen. Die Champagnermarke heißt LAURENTI und ist erhältlich über www.kuepperundkuepper.de.

P.S. Höchst erfreulich waren die zahlreichen Reaktionen auf winedine.de. Der hier erstemals präsentierte WeinKellerRechner© wird intensiv genutzt. Für Ihre Anregungen und Fragen haben wir weiterhin ein offenes Ohr.

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Kulinarik als tragende Säule

Das Grand Resort Bad Ragaz hat vor einigen Jahren die gehobene Kulinarik als eine der tragenden Säulen für die Entwicklung des Resorts zum führenden Hotelresort definiert, die andern beiden sind Spa+Sauna sowie Medizin. Und man ging entschlossen an die Umsetzung der Vorgabe: Das Resort Ragaz bietet seinen Gästen inzwischen sieben Restaurants. Darunter das gerade auf drei Michelin-Sterne erhobene „Memories” von Sven Wassmer und das mit zwei Sternen ausgezeichnete IGNIV mit Joel Ellenberger unter der Regie von Andreas Caminada.
Sieben Restaurants bei insgesamt 268 Zimmern in vier Hotels dürfte die höchste Anzahl von Restaurants innerhalb eines Resorts sein. Dreinhalb Tage bleiben die Besucher im Jahresdurchschnitt, die durchschnittliche Auslastung liegt bei 64%. Aus der Schweiz kommen 60%, 15% aus Deutschland. Rund 40% sind Stammgäste, die eine durchschnittliche Roomrate von 670 Franken pro Nacht bezahlen.
Im medizinischen Bereich im separaten Tower, logieren viele Gäste aus Arabischen Ländern, bis vor dem Ukrainekrieg auch Russen. Sie werden betreut von 30 Fachärzten, deren Kernkompetenzen auf der Lebensstil- und Ernährungsmedizin, Rheumatologie, Sportmedizin liegen sowie auf den Bereichen Schönheit und Ästhetik. Im gesamten Resort Ragaz ist das Wasser der nahegelegenen Tamina-Quelle allgegenwärtig. Es strömt mit 36.5° aus dem Berg und wird mit heilendem Erfolg getrunken, das Wasser fliesst in allen Bädern und Saunen, in der Tamina-Therma und ist auch in den Hotelzimmern verfügbar. Die zwei Golfplätze direkt am Resort sind sehr beliebt bei Hotelgästen wie Greenfeespielern. Im Winter bieten die nahegelegnenen Flumserberge Skivergnügen auch für die Familie.

Die im Oktober verliehenen drei Michelin-Sterne waren beim letzten Abendessen im September 2022 absehbar: Im neungängigen Menü setzte Sven Wassmer (35) seine Philosophie konsequent um: sein Bewusstsein für Produkte, Innovation und Saisonalität interpretiert er klar und reduziert. Seine neue Schweizer alpine Küche ist ein authentisches und naturverbundenes Gesamterlebnis. Internationale Luxusprodukte werden in seinem Konzept nur sehr eingeschränkt verwendet, dafür die besten Produkte aus der Nachbarschaft. 279 CHF kostet der Neungänger, für die Weinbegleitung, welche die Bündner Herrschaft sehr represäntativ einschliesst, sind mindestens 135 CHF anzusetzen. Erfrischend ungezwungen ist die Atmosphäre während des ganzen Abends im Restaurant. Es gibt keine Kleidervorschriften. Wer sich einen der sechs Barplätze, auf Tuchfühlung mit der in der offenen Küche arbeitenden Mannschaft, muss rechtzeitig kommen – sie können nicht reserviert werden. Um die Nachhaltigkeitsqualitäten sowie die Vorreiterstellung bei umweltfreundlichen Initiativen hervorzuheben, wird das Memories auch neu mit dem MICHELIN Green Star ausgezeichnet. Damit zieht das Memories auch hiermit gleich mit den drei andern Dreisterne- Restaurants in der Schweiz: Cheval Blanc by Peter Knogl in Basel, Restaurant de l’Hôtel de Ville in Crissier am Genfersee und Schloss Schauenstein in Fürstenau. Auch im anderen Top-Lokal des Resorts, im Igniv by Andreas Caminada, wird auf höchstem Niveau gekocht. Hier hat Joel Ellenberger im Frühjahr das Szepter übernommen, nachdem Caminada seinem Vorgänger Sivio Germann das neuste Lokal in der Caminada-Familie übertragen hat, dem Mammertsberg in Roggwil über dem Bodensee. Das Igniv-Konzept orientiert sich am Sharing-Gedanken: Alles, was auf den Tisch kommt, wird von den Gästen am Tisch geteilt. Die Küche ist konzentriert-reduziert, arbeitet gerne mit Zutaten auf regionaler Basis und kombiniert diese mit internationalen Spezialitäten. Beim letzten Besuch im September 2022 zog sich ein interessanter Spicy-Faden durch fast alle Gerichte. Die Mannschaft im Restaurant wird souverän dirigiert von Susanne Schneider.

Die gebürtige Engländerin Amanda Wassmer-Bulgin ist seit 2019 verantwortliche Wein Direktorin für alle Restaurants im Hotel Quellenhof Bad Ragaz. Sie ist verheiratet mit Sven Wassmer, Chef des Sternerestaurants „Memories“ im Resort. Sie hat zwei Kinder und ist derzeit in den Vorbereitungen für die anspruchsvolle Prüfung zum Master Wine, MW in London. Winedine nutzte die Gelegenheit vor Ort für ein Interview.

ZUM UMGANG MIT THERMALWASSER: Man braucht einen trainierten Gaumen, um Wasser und Mineralwasser unterscheiden zu können. Wir bieten grundsätzlich zuerst unser Thermalwasser an und ergänzen das gerne mit dem Piz Sardona, einem basischen Mineralwasser aus den Höhenlagen vom nahgelegenen Mels.

SPARKLING ODER STILLES WASSER: Solange der Gaumen sich damit wohlfühlt und man sensorisch genau bleibt, kommt das nicht so drauf an. Persönlich ist mein Gaumen mit den teilweise salzigen Wassern aus Deutschland etwas überfordert.

VORGEHEN BEIM WEINPAIRING: Ich gehe da sehr systematisch vor. Ein Gericht habe ich in der ersten Phase meistens nicht. Ich weiss aus der Küche, welche Zutaten und Produkte eine Rolle spielen, ob auf die Jahreszeit eingegangen wird oder ob z.B. etwas fermentiert wird. Dann fange ich an, diese Produkte in Moleküle zu zerlegen. Einfaches Beispiel: grüne Paprika, kühle Aromen voll mit Pyrazinen, es hat Butter dabei oder Sauerrahmbutter mit Diacetyl, also Butteraroma. Dann gehe ich durch meine Weindatenbank und suche nach Traubensorten mit diesem Profil und komme z.B. auf Sauvignon blanc, der im Holz ausgebaut wurde. Wenn Theorie und Praxis übereinstimmen, was in 99% der Fälle zutrifft, müsste das – zumindest theoretisch – passen. Als nächstes spreche ich mit meinen Sommeliers, wir tragen Weinvorschläge zusammen und probieren zusammen mit dem Gericht. Manchmal ändert die Küche eine Kleinigkeit, brät z.B. den Fisch an statt ihn zu dämpfen, gibt einen Hauch Pfeffer dazu etc. … Ferran Centelles, der Sommelier in Ferran Adrias „elBulli” hat nach dieser Methode gearbeitet – das hat mich sehr fasziniert, auch wenn viele Sommeliers anders vorgehen.

Umgekehrt kommt es bei Wine&Dines oder bei Events schon mal dazu, dass die Küche zu einem Wein ein Gericht entwickelt, wie etwa für einen Champagner-Anlass im vergangenen Jahr. Da habe ich zu Sven (Küchenchef im Memories und Ehemann) gesagt: hier brauche ich etwas in diese oder jene Richtung.

WEINKENNER ODER LIEBER EINEN LAIEN ALS GAST: Interessante Frage. Teils, teils. Ich finde es toll, wenn ein Gast viel weiss oder mir etwas Neues zeigt. Grundsätzlich weiss der Gast mehr. Manchmal ist es falsch, auch wenn der Gast ganz viele Apps auf seinem Handy hat. Der Gast soll zufrieden sein und sich mit dem Wein wohlfühlen – es macht mir gar nichts aus, nur den Wein zu öffnen oder beim Lüften zu helfen.

WEINEMPFEHLUNG UND MENÜKOSTEN: Ich frage meistens, was die Gäste sonst so trinken, um mir ein Bild zu machen und zeige im Sinne der klassischen Verkaufstechnik drei unterschiedlich Vorschläge aus der Weinkarte. Startet ein Gast mit einem Jahrgangschampagner von Krug und lässt durchblicken, dass er auch bei einfacheren Gerichten vielleicht zu einen Château Pétrus greift, mache ich passende Vorschläge und diskutiere die Preise diskret. Weine zu empfehlen, die preislich weit über dem ausgewählten Menü stehen, finde ich ein absolutes No-go. Es ist die Aufgabe eines Sommeliers, mit Feingefühl und Empathie die Grenzen auszuloten und anzuwenden. So ist es mir in meiner ganzen Praxis noch nie passiert, dass ein Gast einen Wein nicht zahlen wollte.

NACH DEM PROBIERSCHLUCK LEHNT DER GAST DEN WEIN AB: Das kommt immer mal wieder vor, obwohl der Wein keinen Fehler hat. Auch hier geht es um eine Dienstleistung: Der Wein soll dem Gast gefallen und ihm Freude machen. Wenn ich einen Wein empfehle, dann glaube ich an ihn. Wenn er dem Gast aber gar nicht gefällt, ersetze ich ihn selbstverständlich. Ich kann den Rest ja vielleicht glasweise ausschenken oder für ein Training benutzen, da gibt es viele Möglichkeiten. Bei gereiften und teuren Weinen versuche ich direkt herauszufinden, ob der Gast Erfahrung hat mit gereiften Weinen. So erinnere ich mich an einen Gast, der unbedingt einen Wein von Gaja aus 1966 haben wollte. Im Gespräch stellte sich aber schnell heraus, dass er keinerlei Erfahrung mit solchen Weinen hatte – er wollte es halt mal probieren. Er kam davon ab, nachdem ich ihn über das andere Aromenspektrum eines gereiften Weines aufgeklärt hatte. Oft können sich Gäste, die wenig Ahnung vom Wein haben, dazu schlecht ausdrücken. Die sagen dann oft, ich mag keine schweren Weine, meinen damit aber spürbare Tannine. Da behelfe ich mir häufig, indem ich den Gast aus der Weinbegleitung zwei unterschiedliche Weine probieren lasse und darauf die Auswahl der Flasche abstimme. Das braucht zwar etwas Zeit am Tisch, aber dafür ist ein Sommelier da.

ZALTO-GLÄSER IM MEMORIES: Hier bewegt sich der Markt, es kommen neue Formen und Glastypen. Da ich eher klassisch orientiert bin, was Gläser und Besteck anbelangt, bin ich bisher keinem andern Hersteller begegnet, dessen Gläser so viele Anwendungen wie bei der Weinbegleitung abdecken und auch optisch und haptisch erstklassig passen. Wir machen bei der Weinauswahl regelmässig Tests, um das am besten passende Glas zu finden und sind immer wieder erstaunt, wie häufig das Zalto-Universalglas am besten abschneidet. Die zurzeit sehr gelobten Gläser von Josphinenhütte habe eine ausgezeichnete Sensorik. Persönlich bevorzuge ich für mich aber eine einfachere Optik.

SCHWEIZER WEINE: Man kann nicht alles haben. Allein die Weine aus der Bündner Herrschaft, die bei uns ziemlich komplett vertreten sind, decken schon viele Anwendungen ab. So gesehen fühle ich mich als Ambassadrice der Region und wir servieren in jeder glasweisen Weinbegleitung mindestens einen Pinot noir und einen Weisswein. Aber auch die andern Schweizer Weinregionen haben wir ständig im Blick und werden das Sortiment in diese Richtung ergänzen. Es gibt hervorragende Produzenten, die ich gerne auch im Angebot hätte. Trotz der Verbundenheit mit der Region: Wenn wir einen Riesling anbieten möchten, dann suchen wir den in Deutschland, weil wir den besten servieren wollen und keinen Kompromiss machen.

IHR LIEBLINGSGAST: Gäste, die wissen was sie wollen, sich auskennen aber trotzdem offen sind für Neues, das ich Ihnen gerne zwischendurch zum Probieren anbiete. Mich freuen aber auch Gäste, die wenig wissen und sich entspannt auf Unbekanntes einlassen. Also die Einfachen und die Komplizierten.

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Der Weinschreiber wünscht sich zu Weihnachten

  • – mehr glasweisen Ausschank von guten Weinen in korrekter Temperierung
  • – dass die Glaskultur zunimmt. Privat, und vor allem in Restaurants
  • – mehr Weinkarten, die nach Weintypen, d.h. nach Geschmack sortiert sind
  • – mehr Rückenetiketten mit den wichtigsten Angaben zu Wein und Süsse
  • – weiterer Vormarsch erstklassiger Winzerchampagner auch in Deutschland
  • – korkfreie Weinverschlüsse und aufgeschlossene Weintrinker ohne Nostalgie
  • – Comeback von Sherry, Port und Madeira
  • – mehr Weintrinker, die für eine Flasche mehr als 5 Euro auszugeben bereit sind

und in 2010 (möglichst) keine

  • – Weinjournalisten, die einen 2,99 Euro-Wein beschreiben wie einen für 300
  • – Wein-Clubs von Zeitungen/Zeitschriften, die nur getarnte Anzeigen sind
  • – Gastronomen, die Rotweine immer noch bei „Zimmertemperatur” ausschenken
  • – Händler, die viele Wein-Namen kennen und nichts darüber wissen
  • – weitere Zunahme feinherber (restsüsser) Weine deutscher Herkunft
  • – Drei-Euro-Weine, die über Tausende von Kilometern herangeschafft werden
  • – Experimente mit exotischen Rebsorten um den Verlust von Identität und Eigenart
  • – Champagner-Fantasiemarken aus täglich wechselnden dubiosen Ankäufen

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Geht doch!

Auf dem Flughafen Helsinki, direkt am Pier 27 mit Blick auf das Vorfeld, hat sich vor zwei Jahren eine Weinbar installiert: Wine&View. Übersichtlich, modern möbliert, angenehm, aufmerksame Bedienung, Tapas. Im Angebot etwa 70 bis 80 Weine, die ohne Ausnahme auch glasweise erhältlich sein sollen. Im Februar 2010 wurde die Liste angeführt von Cheval blanc, Jahrgang 47, das Glas zu 128 Euro. Der Château d’Yquem von 1979 kostet 34, der 76 Prieure-Lichine für 6.40, ein Glas Piper-Heidsieck aus 1966 ist für 17 Euro zu haben. Es folgen einfachere Rotweine und ein gutes Dutzend Cavas und Champagner. Dass die Preziosen über den Messbecher ins Glas gefüllt werden, erscheint verständlich – dass die Ausschankmengen variieren, mag auch noch angehen. Etwas weniger erfreulich, dass Weine im Rang eines Cheval blanc, nur geöffnet werden, wenn mindestens 20 cl abgenommen werden, was wiederum 10 Gläsern à 128 Euro entspricht und dass beim flüchtigen Blick auf die Schiefertafel, wo täglich die neusten Weine  angeschrieben werden, nicht hinreichend deutlich wird, auf welche Menge sich der Preis bezieht. Diese variieren zwischen 2cl bis 24 cl (1 Liter gleich 100cl). Die Normalmenge sind 4 cl. Die geöffneten Weine sind mit einem Vakuumstöpsel verschlossen – in der Zeit meines Besuchs trat die Vakuumpumpe jedoch nie in Aktion. Dennoch ein guter Platz, um beim Warten auf den Abflug den Weinhorizont etwas zu erweitern.

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